Dr. Vijai S Shankar MD.PhD.
Published on www.academy-advaita.com
The Netherlands
2 April 2016

Da

„Und doch nicht da“

Der Mensch weiß mit Sicherheit, dass alles, was existiert, da vor ihm ist. Dieses Wissen hat sich im Verstand eines menschlichen Wesens evolutionär entwickelt und diesen konditioniert. Für den Menschen ist es sehr schwer zu verstehen, dass alles, was sich vor seinen Augen befindet, da und doch nicht da ist. Dieses Verständnis läuft der Logik und der Vernunft zuwider, denn seine fünf Sinne informieren darüber, dass alles vor seinen Augen da ist.

Die Erleuchteten haben nichtsdestoweniger verkündet, dass alles da und doch nicht da ist – und auch sie haben Augen und fünf Sinne. Es ist faszinierend zu überlegen, was die Logik und Vernunft der Erleuchteten sein könnten, die diese Behauptung stützen.

Die fünf Sinne, die den Menschen darüber informieren, was da vor seinen Augen ist, sind da, das kann man nicht leugnen. Der Mensch bewirkt jedoch nicht, dass die Sinne kommen oder gehen. Die fünf Sinne kommen und gehen und der Mensch kann niemals wissen, wie sie kommen oder gehen oder woher sie kommen und wohin sie gehen. Das impliziert, dass die Sinne da sind und doch nicht da sind. Das kann man verstehen, weil der Mensch die Sinne nicht vor seinen Augen sehen kann.

Doch der Mensch sieht mit Sicherheit, was sich vor seinen Augen befindet. Wie kann der Mensch dann verstehen, dass das, was sich vor seinen Augen befindet, da und doch nicht da ist? Wenn der Mensch verstehen könnte, dass sowohl der Gedanke als auch das Wort, womit alles Mögliche beschrieben wird, was sich vor seinen Augen befindet, da und doch nicht da sind, würde ihm das beim Verstehen helfen.

In einem Moment kann man immer nur einen Gedanken oder ein Wort denken oder sagen. In einem Moment ist numerische Zeit allerdings noch nicht bestimmt worden. Da ein Moment auf den anderen folgt, impliziert dies, dass in jedem Moment numerische Zeit nicht da ist. Ein Gedanke oder ein Wort braucht allerdings numerische Zeit, um zu existieren. Das impliziert, dass ein Gedanke oder ein Wort nicht in einem Moment existieren können und daher die Existenz eines Gedankens oder eines Wortes illusionär und nicht real ist, das heißt: Ein Gedanke oder ein Wort sind da und doch nicht da.

Nun hilft uns die Wissenschaft zu verstehen, dass alles, was sich vor unseren Augen befindet, da und doch nicht da ist. Die erste Tatsache, die es zu verstehen gilt, ist, dass die gesamte Existenz dessen, was da ist, nicht in jedem Moment dieselbe ist, weil sich alles, was existiert, in jedem Moment verändert. Folglich ist die gesamte Existenz dessen, was in einem Moment gesehen wird, nur für diesen Moment existent; und dieselbe gesamte Existenz ist im nächsten Moment nicht da, weil sie sich bereits aus dem, was sie im vorherigen Moment war, in etwas anderes verwandelt hätte. Das ist damit gemeint, dass es da und doch nicht da ist.

Die zweite Tatsache, die es zu verstehen gilt, ist, dass jedes Atom dessen, was da existiert, Licht ist; und, was da existiert, ist folglich in Wirklichkeit eine Reflexion von Licht und nur eine Reflexion ist da. Es ist ein Mysterium, wie eine Reflexion da zu sein scheint als eine Realität, während man dennoch glaubt, dass es als eine Wirklichkeit da ist, obwohl es nicht als eine Wirklichkeit da ist; das heißt, es ist da und doch nicht da.

Die dritte Tatsache, die es zu verstehen gilt, ist, dass in einem Traum alles, was da existiert, genau so ist, wie es im Wachzustand erscheint, doch es ist in einem Traum nicht als Wirklichkeit da. Das impliziert, dass es da und doch nicht da ist, und das versteht der Mensch sehr leicht.

Daher ist die Verkündigung der Erleuchteten Weisheit, dass alles da und doch nicht da ist, was darauf hinweist, dass, was da ist, ein Mysterium ist. Dementsprechend ist das Leben ein Mysterium; es ist da und doch nicht da, was bedeutet: Das Leben ist nicht, was der Verstand glaubt, was es sei. Und das ist Weisheit.

Autor: Dr. Vijai S. Shankar

© Copyright V. S. Shankar 2016

Anmerkung des Herausgebers:
Dieser Artikel ist ein unschätzbares Geschenk für dich und für mich, von der Weisheit eines erleuchteten Mannes. Die Sinne können nicht sehen, was wirklich da ist. Und doch gibt es kaum einen lebenden Mann oder eine lebende Frau, der sein oder ihr Leben nicht auf die Wahrhaftigkeit des von seinen oder ihren Sinnen, auch „er“ oder „sie“ genannt, stützen würde. Unser Glaubenssystem ist vollkommen und jenseits aller Zweifel darauf gegründet, dass „etwas, was man nicht vor Augen sehen kann, nicht existiert.“ So ist die wunderbare Macht der Illusion: Sie liefert einen außerordentlich überzeugenden Ersatz als Verhüllung der Realität selbst. Das ist kein gemeiner Trick, denn der Mensch ist ewig der tiefen Führung der Erleuchteten verpflichtet, um diese wundervolle Illusion zu durchdringen.
Julian Capper, Großbritannien.

Anmerkung des deutschen Übersetzers:
„Aber ich kann es sehen. Da. Schau!“ ist eine übliche Entgegnung auf die Behauptung der Erleuchteten, dass das Leben eine mysteriöse Illusion ist. Der Verstand wird niemals in Zweifel gezogen. Er sagt uns, das dies oder jenes „da“ ist und keiner würde es leugnen. Doch was könnte das sein, was „da“ ist? Ist ein Baum wirklich ein Baum, ein Auto wirklich ein Auto, ein Kind wirklich ein Kind? Lies den Artikel „Da“ von Dr. Shankar, um zu verstehen, was wirklich da ist, außen. In Wirklichkeit ist das, was da außen ist, im Inneren des Menschen, innerhalb seines Verstandes. Der wer könnte die Grenze ziehen zwischen innen und außen, wenn nicht der Verstand? Und auch der Verstand ist da und doch nicht da! Was für eine wundervolle Illusion das Leben dem Menschen in seinem Verstand präsentiert!
Marcus Stegmaier, Deutschland.

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