Dr. Vijai S Shankar MD.PhD.
Published on www.academy-advaita.com
Niederlande
16 May 2020  

Ich will (3)

„Haben“


In dem Moment, wenn der Verstand einen Wunsch hat, wird durch das Wollen eine Illusion manifestiert. Das Leben manifestiert eine Illusion, immer wenn der Verstand etwas will. Verstehe, dass das Ego eine Trennung zwischen dir und dem, was du haben willst, erschafft. 

Das ist das Erste, was irgend ein Wollen tun wird. Wollen wird eine Trennung zwischen dir und dem Gegenstand oder dem Wesen oder was auch immer du haben willst erschaffen, weil Wollen dazu führt, dass „du nun meins bist“. Ich besitze dich. 

Verstehe, dass Besitz unverzüglich Trennung für dich in Gang setzt. Du wirst ihn entweder schätzen oder an deinem Besitztum einen Makel finden, ohne zu erkennen, dass Besitztümer ihre Reise fortsetzen werden auf die ihnen eigene Weise, die ihnen bestimmt ist. 

Verstehe, dass „Wollen“ einen Kreislauf der Trennung erzeugt, Konflikt, Wut, Eifersucht, Hass, Sorgen, Traurigkeit, Glück. Du möchtest, dass die Leute auf nette Weise mit dir reden. Du möchtest, dass sich die Leute auf eine bestimmte Weise dir gegenüber verhalten. Oder etwa nicht?

Die Positionen von Gegenständen und Gedanken, die du immer haben willst, sind Illusionen. So bist du zum Beispiel in einem Konflikt, wenn dein Auto einen Kratzer bekommt. Du verstehst nicht, meine Güte, das Auto kam zu mir. Es geht meinen Weg, der auch sein Weg ist. Es hat einen Kratzer abbekommen.  

Verstehe, dass das Auto einen blauen Fleck hat. Verstehe, dass sich alles transformiert. Niemand ist dafür verantwortlich oder daran schuld. Das bringt bedingungslose Liebe, bedingungslose Fürsorge und bedingungslose Anteilnahme für alles und jeden in dir zustande. 

Durch dieses Verständnis gibt es keinen Platz für Konflikt. Die Intelligenz im Leben wird geben, was dir bestimmt ist zu haben. Die Intelligenz im Leben manifestiert diesen transformierenden Prozess. 

Verstehe, dass das, was dir begegnet den Weg geht, der ihm bestimmt ist zu gehen. Verstehe, dass ein Wollen sich niemals in einen friedlichen Mann oder eine friedliche Frau transformiert hat. 

Das Leben transformiert sich selbst. Durch diese Transformation hast du, was dir bestimmt ist zu bekommen. Du hast es nicht selbst angeschafft. Das Leben hat es dir geschenkt. Doch in dem Moment, in dem Wollen in dir ist, bleibst du der- oder dieselbe, einfach wollend, und bist niemals eine Person, die mit sich selbst in Frieden ist. 

Die Weisen verstehen, dass das, was dir bestimmt ist zu haben, dir das Leben schenken wird. 

Die Erleuchteten sind dankbar jeden Moment zu leben. 

Autor: Dr. Vijai S. Shankar
© Copyright V.S. Shankar 2020

Anmerkung des Herausgebers: 
Der Ausdruck, dass „Besitz neun Zehntel des Gesetzes ausmacht", wird häufig auf Eigentumsstreitigkeiten zwischen Menschen angewandt. Besitzen ist ein fundamentaler Grundsatz im Verstand, der zu Konflikten und Zwietracht führt. Dieser Grundsatz wird von der Überzeugung des Menschen getragen, dass er der oberste Schiedsrichter in der belebten und unbelebten Welt um ihn herum ist. Er hat wenig Kenntnis von oder Respekt vor der Intelligenz des Lebens selbst. Dennoch wird der Mensch auf seinem Weg zur Erkenntnis, wer er wirklich ist, von derselben Intelligenz überzeugt. So ist auch das Geschenk der Erleuchteten, die hier und anderswo offenbaren, dass der Mensch nicht der Handelnde ist und nie der Handelnde gewesen ist – die Illusion, die sich durch einen Verstand manifestiert, der will. Lebe das Leben, wie es geschieht, ohne Bedingungen.
Julian Capper. Großbritannien. 

Anmerkung des deutschen Übersetzers: 
Wie der Begriff des Wollens hier von Dr. Shankar nicht nur Gegenstände und Personen umfasst, sondern auch Gedanken, ist bemerkenswert. Der Zusammenhang wird klar, wenn man bedenkt, dass Wollen und Haben Gedanken sind und nichts physisch Reales. Was der Mensch also will, sind eigentlich immer nur Gedanken, denn das, was man glaubt zu besitzen, ist auf seiner unkontrollierbaren Reise im Leben, wie der vermeintliche Besitzer selbst. Der Gedanke, dies oder jenes gehöre mir, ist also das, was der Verstand in Wirklichkeit will, denn auf andere Weise ist Besitzen gar nicht möglich. Mit abnehmender Überzeugung, dass Gedanken real seien, was nicht der Fall ist, nimmt auch Besitzstreben ab und innere Freiheit, egal wie viel man, in Gedanken, besitzen mag, nimmt zu. Beginn oder Ende von Besitztümern geschehen dennoch, so illusionär sie auch sind, ob es jemandem gefällt oder nicht. 
Marcus Stegmaier, Deutschland.  

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