Dr. Vijai S Shankar MD.PhD.
Published on www.academy-advaita.com
The Netherlands

20 Marz 2019  

Übung

„Macht perfekt“

 

„Übung macht den Meister“ bedeutet, dass es möglich ist, etwas zu lernen oder eine Fähigkeit zu entwickeln, wenn man genug übt. Die Leute sagen das oft, um jemanden zu ermutigen, weiter zu üben.

Wissen verweist darauf, dass man lernt und Fähigkeiten entwickelt, um das zu erlangen oder zu erreichen, was man will, wie z.B. den Wunsch oder die Sehnsucht nach Besitz. Dies schließt das Talent in einer Vielzahl von Lebensfragen mit ein und nicht nur das Üben, sondern auch das, was sie verspricht. Das Talent geschieht jedoch nicht allen, obwohl sie üben.

Neben der Vielfalt der Themen im Leben wird die Übungspraxis der Meditation propagiert, um Erleuchtung zu erlangen oder zu erreichen. Männer und Frauen schwelgen in der Praxis der Meditation auf der ganzen Welt, und das geschieht ebenfalls.

Weisheit von Übungspraxis, Talent, Leistung und Erfolg ist jedoch nicht dasselbe wie das Wissen darüber. Was ist diese Weisheit, ist die Frage?

Weisheit offenbart, dass ein Moment im Leben nicht vom Menschen gemacht wird und nicht vom Menschen gemacht werden kann. Und zwar, weil der Moment im Leben viel früher als der Mensch im Moment war, und es deshalb für den Menschen unmöglich ist, einen Moment im Leben zu machen.

Weisheit offenbart, dass innerhalb eines Augenblicks nur eine einzige Bewegung möglich ist und weder zwei noch viele möglich sind. Das bedeutet, dass das gesamte Leben eine einzelne Bewegung ist.

Weisheit offenbart, dass die einzelne Bewegung im Moment als illusionäre Handlung erscheint, denn die Handlung besteht aus vielen Bewegungen, während innerhalb eines Moments nur eine einzige Bewegung vorhanden ist.

Weisheit offenbart, dass ein Moment im Leben präzise ist, denn ein Moment ist weder zu früh noch zu spät im Leben. Weisheit offenbart, dass auch das, was im Moment ist, präzise ist und nichts anderes als das, was im Moment ist, wenn auch illusionär, vorhanden sein kann.

Weisheit offenbart, dass man das, was einem zu lernen bestimmt ist, lernen wird, weil es im Moment gegenwärtig ist und man den Moment, in dem das Lernen und das Gelernte gegenwärtig sind, nicht macht.

Weisheit offenbart, dass man das, was einem zu üben bestimmt ist, wenn auch illusionär, üben wird, weil die Übungspraxis im Moment gegenwärtig ist und man nicht den Moment macht, in dem die Übungspraxis gegenwärtig ist.

Weisheit offenbart, dass man das, was einem zu Begehren, Wünschen oder Wollen bestimmt ist, wenn auch illusionär, im Moment begehrt, wünscht oder will und dass man weder selbst noch die Übungspraxis es geschehen lassen, weil man den Moment, in dem es gegenwärtig ist, nicht macht.

Weisheit offenbart, dass man das, was einem zu erreichen oder zu erlangen bestimmt ist, wenn auch illusionär, im Moment erreichen oder erlangen wird, und man weder selbst noch die Übungspraxis es geschehen lässt, weil man den Moment, in dem es gegenwärtig ist, nicht macht.

Weisheit offenbart, dass Erleuchtung geschehen wird, wenn sie geschehen soll, und sie weder von dir noch von der Übungspraxis abhängig ist, um sie zu verwirklichen. Und zwar, weil Erleuchtung unabhängig ist und nicht von dir oder der Übungspraxis abhängig.

Weisheit offenbart, dass, wenn du denkst, dass du praktizierst und glaubst, dass du durch die Praxis die Erleuchtung erreichen wirst oder durch die Praxis die Erleuchtung erlangen wirst, dieser Glaube verhindert, dass die Erleuchtung geschieht.

Die Erleuchteten leben jeden Moment, wie er ist, und verstehen, dass die Bezeichnungen in dem Moment illusionär und nicht real sind. 

Autor: Dr. Vijai S. Shankar
© Copyright V. S. Shankar 2019

Anmerkung des Herausgebers: 
Als Orpheus, der Sohn Apollos, seine schöne Frau Eurydike, die von einer Viper gebissen worden war, aus dem Hades, der Welt der Finsternis, zurückführte, wurde ihm gesagt, er solle nicht auf sie zurückblicken, bis sie die Welt des Lichts erreichten. Als sein Verstand, voller Zweifel und unfähig, an seinem Ziel festzuhalten, ihn aufforderte, zurückzublicken, verschwand sie. Der Mensch setzt sich in seinem täglichen Leben – emotional, intellektuell und körperlich – Ziele und strebt danach, diese zu erreichen. Noch nicht in der Lage zu verstehen, dass der Verstand das Leben nicht kennt, verfolgen sie die Ziele des Verstandes. Der Verstand, wie von den Weisen erklärt, ist nicht das Leben und bekräftigt damit das Sprichwort: „Der Mensch schlägt vor, aber Gott verfügt“. Das zu verstehen ist das Leben, die Welt des Lichts.
Julian Capper, Großbritannien.

Anmerkung des deutschen Übersetzers: 
Der Verstand, der sich für einen Handelnden hält, strebt nach vielen Dingen, wie auch zum Beispiel nach Mitgefühl, ohne seine eigene Begrenztheit zu ahnen. Der Verstand sagt, man solle, besonders in Stresssituationen versuchen, liebevoll und nicht hasserfüllt, genervt oder ablehnend miteinander zu reden. Wenn es jedoch wieder einmal nicht geklappt hat, sagt sich der Verstand, der Versuch zähle, darauf komme es an. Weisheit, wie in diesem Artikel über das Üben aller Art dargelegt wird, versteht, dass es sich nicht um einen Versuch gehandelt hat, den der Verstand unter seiner Kontrolle hat, wie das Wort Versuch impliziert. Weisheit versteht, dass die Qualität von Liebe in den Worten oder deren Fehlen ein Ausdruck der Tiefe des Verständnisses des Lebens in jenem Moment darstellt. Der Mensch hat weder den Versuch noch das Verständnis noch die Worte gemacht, weil alles im evolutionären Moment enthalten ist und der Mensch offensichtlich nicht die Kontrolle über die Evolution hat. Auf dieses Verständnis kommt es an, denn dann ist man mitfühlend mit sich selbst, besonders wenn man nicht den eigenen Ansprüchen genügt, und daraus entsteht Mitgefühl mit allen anderen, während diese den Ansprüchen des eigenen Verstandes nicht genügen. Das Leben stellt keine Ansprüche. Mitfühlend mit sich selbst und anderen zu sein, bedeutet mit dem Leben zu fließen. Geduld ist grundlegend für die Entwicklung des Menschen zu Weisheit und Liebe. Es besteht tiefe Dankbarkeit gegenüber den Weisen, die uns, wie Dr. Shankar hier und anderswo, auf diesem Weg begleiten, wenngleich illusionär. 
Marcus Stegmaier, Deutschland. 

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