Dr. Vijai S Shankar MD.PhD.

Published on www.acadun.com

The Netherlands

19th August 2013

 

 

Was bedeutet Erwartung?

 

Einfach ausgedrückt bedeutet Erwartung ein starker Glaube, dass etwas geschehen wird und geschehen sollte, oder eine Hoffnung, dass etwas nicht geschehen sollte. Kein Mensch ist sich sicher, was an einem Tag geschehen wird oder nicht, weil alles geschehen kann. Daher ist Erwartung entweder ein starker Glaube oder eine Hoffnung. Der heutige Mensch hat Erwartungen für die Gegenwart und auch für die Zukunft. Dem Menschen wird sogar geraten, dass er große Erwartungen im Leben haben soll. Doch kein Mensch ist sich über die Zukunft sicher und daher werden Erwartungen gerechtfertigt, weil sie gute Laune begünstigen.

 

Der Mensch möchte, dass ihm gute Dinge widerfahren. Das ist so, weil er glücklich leben möchte und sich dasselbe für seine Kinder wünscht. Und wenn der Mensch nicht bekommt, was er sich wünscht, dann hat er Erwartungen. Seine „Wünsche“ sind das, was ihn glücklich macht. Jeder hat Erwartungen, ohne Ausnahme: die Reichen, die Armen, die Gesunden, die Kranken, die Nicht-Behinderten, die Behinderten, die Gebildeten, die Ungebildeten, die Religiösen, die Spirituellen, die Wissenden, usw. Also beherrschen Erwartungen die gesamte Gesellschaft.

 

Das Leben ist voller Mitgefühl. Es hat Erwartungen erschaffen, um Furcht fern zu halten und dem Menschen das Leben des Alltags zu erleichtern. Der Mensch glaubt, dass sich seine Erwartungen eines Tages erfüllen werden, und dies ist eine unendliche Geschichte des Menschen. Die Geschichte wird weitergehen, solange der Mensch glaubt, dass er der Handelnde ist.

 

Erwartungen existieren, damit der Mensch verstehen kann, dass er nicht der Handelnde ist. Der Mensch muss also verstehen, dass er nicht der Handelnde ist, um von Erwartungen frei zu sein. Durch Erwartungen existiert für den Menschen eine Gelegenheit, zu verstehen, dass das Leben nicht so fließt, wie der Verstand das Leben zu fließen erwartet. Dies geschieht, wenn der Mensch versteht, dass der Verstand weder das Leben noch den Alltag steuert.

 

Das Leben geschieht dem Menschen. Er macht es nicht und kann auch nicht verhindern, dass es ihm geschieht. Er kann den Moment, in dem ihm das Leben widerfährt, nicht sehen und kann den Moment auch nicht anhalten. Wenn er dies könnte, dann wäre er in der Lage, sein Leben zu steuern, und der Mensch versteht, dass er den Lauf seines Lebens nicht bestimmen kann.

 

Wäre Zeit in einem Moment präsent, dann wäre der Mensch in der Lage, den Moment zu sehen, so wie alles, was man innerhalb von Zeit sieht. Zeit ist einem Moment im Leben abwesend und Zeit ist, da das Leben jeden Moment geschieht, offensichtlich abwesend im Leben. Zeit ist daher illusionär und nichts Wirkliches im Leben. Um irgendetwas zu tun, bräuchte der Mensch Zeit. Da Zeit im Leben abwesend ist – und die Weisen haben verkündet, dass sie abwesend ist, – ist es für den Menschen unmöglich, irgendetwas zu tun – und die Weisen haben auch verkündet, dass der Mensch nicht der Handelnde ist. Daher ist es illusionär zu glauben, dass der Mensch etwas tun kann. Wenn der Mensch versteht, dass er nicht der Handelnde ist, erkennt er, dass das Leben jedem Menschen das gibt, was derjenige braucht, und dies jeden Tag so weiter gehen wird.

 

Was bedeutet also Erwartungen? Wenn der Mensch versteht, dass er nicht der Handelnde ist, lebt er furchtlos ohne Erwartungen. Er wird erkennen, dass das Leben dem Menschen viele Gelegenheiten gibt, dem Leben zu vertrauen.

 

Autor: Dr. Vijai S. Shankar

© Copyright V. S. Shankar 2013

 

Anmerkung des Herausgebers:

Hier ist ein Mann, hier ist eine Frau, hier ist ein Kind: Alle leben, haben gelebt und werden leben, indem sie im Verstand dazu konditioniert sind, Zeit, Handlung und ein erwartetes Ergebnis zu respektieren. So ist das Leben und so sollte es auch gelebt werden. Niemand würde widersprechen und es ist auch nichts falsch daran – alles vollkommen illusionäre Gedanken.

Hier ist ein Weiser, ein erleuchtetes Wesen, über den Verstand hinausgegangen. Er kam zu dem Verständnis der Konditionierung des Verstandes und der Abhängigkeit des Menschen davon. Im Schlepptau dieser Abhängigkeit folgen Hoffnung und Furcht, Hochgefühl und Depression – die ganze Spannbreite der emotionalen Erfahrung des Menschen. So ist das Verständnis des Weisen, der zum Beobachter geworden ist, ein Geschenk des Lebens.

Julian, Großbritannien

 

Anmerkung des Übersetzers:

In spirituellen Kreisen ist es verbreitetes Wissen, dass der Mensch nicht der Handelnde ist, und es gibt viele spirituelle Schriften, die wiederholt darauf hinweisen, dass der Mensch nicht der Handelnde ist. Dennoch hält man Zeit, Ereignisse und Handlungen für real und Erwartungen aufgrund von Ursache und Wirkung bleiben weiterhin als eine Realität anwesend. Deshalb bleibt der Mensch derselbe, ob er nun weiß, dass er ein Handelnder ist, oder ob er weiß, dass er nicht der Handelnde ist. Allerdings verkünden die Weisen, wie auch dieser von einem Weisen geschriebene Artikel, dass Zeit, Ereignisse und Handlungen als Illusionen im Verstand und nicht als etwas Tatsächliches im Leben geschehen und daher Ursache und Wirkung sowie Erwartungen ebenfalls illusionär sind. Klarheit stellt sich, wenn es so sein soll, ein: Keine Zeit – kein Ereignis; keine Handlung – kein Handelnder; kein Verstand – keine Erwartung. Was bleibt, ist einfach das zeitlose, einzelne Fließen des Lebens und Vertrauen ins Leben, wobei der Verstand als eine Realität abwesend ist, als eine Illusion jedoch, auf mysteriöse Weise, anwesend.

Marcus Stegmaier

 

 

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