Dr. Vijai S Shankar MD. PhD

Published on www.acadun.com

London

16. Februar 2010

 

 

Absolutes Verständnis

„Interview von Iain McNay“

 

 

Iain McNay: Hallo und willkommen bei conscious.tv. Ich bin Iain McNay und heute zu Gast ist Dr. Vijai Shankar. Hallo Vijai.

 

Dr. Shankar: Guten Morgen.

 

Iain McNay: Du hast so viele Bücher geschrieben, sehr beeindruckend. Eines habe ich selbst gelesen: „Absolutes Verständnis“. Und hier sind „Die Macht der Illusion“, „Die Illusionen des Lebens“ und das neueste: „Evolution des Verstandes“. Du schreibst also sehr viel, neun Bücher hast du, glaube ich, schon geschrieben und diese Serie „Absolutes Verständnis“ soll am Ende 60 Bände haben.

 

Dr. Shankar: Stimmt.

 

Iain McNay: Es gibt wohl viel zu sagen!

 

Dr. Shankar: Ja, viel, denn der Mensch hat viel Wissen. Es gibt also viel zu sagen, um den Menschen zu informieren, dass sein Wissen bisher nicht auf Realität oder Illusion hin überprüft wurde. Das Lippenbekenntnis des Menschen ist, dass die Welt illusionär ist, doch er versteht es nicht. Wenn es so ist, dann sollte Wissen illusionär sein. Und vermutlich braucht es mehr als diese 60 Bände, damit er versteht: Das Wissen, es mag noch so intelligent oder angesehen sein, ist auf alle Fälle illusionär.

 

Iain McNay: Du behauptest also, dass das gesamte Wissen illusionär ist?

 

Dr. Shankar: Jegliches Wissen, es mag noch so angesehen oder wissenschaftlich sein, oder alltäglich - alles, was der Verstand weiß, ist illusionär. Der Mensch muss verstehen, was „illusionär“ bedeutet, was die Definition von „illusionär“ ist.

 

Iain McNay: Gut, beginnen wir damit.

 

Dr. Shankar: „Illusionär“ heißt nicht, dass es nicht existiert. Es existiert, doch nicht so wie der Verstand behauptet, dass es existiert.

 

Iain McNay: O.k., erklär‘ dies weiter.

 

Dr. Shankar: „Illusionär“ bedeutet, dass das Wissen oder das, was der Mensch wahrnimmt oder erkennt, eine Illusion ist, eine Reflexion von Licht, nichts Substanzielles oder Wirkliches; egal ob eine Handlung oder sonst etwas Bekanntes.

 

Iain McNay: Wenn du mich anschaust, was siehst du dann?

 

Dr. Shankar: Wenn ich dich ansehe... egal, was der Mensch anschaut, er ist davon überzeugt, es zu sehen. Ich glaube allerdings nicht, dich zu sehen, weil die Funktion des Auges nicht Sehen, sondern die Aufnahme von reflektierten Lichtstrahlen ist. Nur Lichtstrahlen dringen in unseren Augapfel, unsere Pupille ein. Irgendwie gelangt das Licht in unsere Augen und erreicht den Sehnerv und den Hinterhauptslappen, wo es in Worte verwandelt wird. Der Mensch denkt also, was er sieht; er sieht es nicht. Der Mensch sollte verstehen, dass er eine Welt aus Gedanken erlebt, die nicht wirklich ist. Die wirkliche Welt ist eine Illusion, eine optische Illusion. Und Wissen ist eine auditive Illusion aus Ton. Du hast vielleicht Fragen - natürlich! Der Mensch hat Fragen, weil sein Verstand einen gewissen Grad an Evolution und Höherentwicklung erlangt hat. So viel Wissen ist verloren im Verstand und natürlich stellt es Fragen ohne Ende. Die Fragen werden sich immer höher entwickeln, ebenso wie auch die Antworten, aber sie können noch so hoch entwickelt oder noch so intelligent sein, der Mensch wird mit dem Leben trotzdem nicht zufrieden oder glücklich oder in Frieden sein. Der Mensch muss also verstehen, wie das Leben ihn von dem Glauben überzeugt hat, dass der Mensch der Handelnde, der Sprechende und der Denkende ist. Der Mensch sollte erkennen, dass sein Ego oder seine Individualität nichts tut, um zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken und auch nichts, um den Tastsinn zu aktivieren. Der Mensch sollte nachdenken... oder besser gesagt, ergründen, anstatt Fragen zu stellen. Wenn der Mensch Fragen stellt, erscheint eine Antwort, von außen oder von innen. Und der Verstand gibt dem Menschen immer genau die Antwort, die ihm gefällt. „Frage und Antwort“ - das grenzt den Menschen also ein, beschränkt ihn, hält ihn in seinen eigenen Antworten gefangen, in seinen eigenen Überzeugungen. Doch wenn der Mensch anfängt, zu ergründen...

 

Iain McNay: Was heißt das: „ergründen“?

 

Dr. Shankar: „Ergründen“ ist nicht dasselbe wie „Fragen stellen“. Eine Ergründung geschieht einem, man kann sie nicht tun. Und wenn sie geschieht, lässt man all seine Überzeugungen, sein Wissen, zurück; man denkt über etwas nach, um zuzuhören. Ergründen bewirkt, dass man zuhört, und zwar frei von Zeit und Raum und Überzeugungen. Es vertieft sich immer mehr. Eine Antwort dagegen vertieft sich nicht: der Mensch bleibt oberflächlich, in seinem Verstand - eine Ergründung führt zu Verständnis, aber Fragen erzeugen Antworten, die den Menschen in den Grenzen seines Verstandes festhalten. Eine Ergründung lädt den Menschen ins Leben ein!

 

Iain McNay: Heißt „nachdenken“, sich mehr Zeit zu nehmen, um zu schauen, warum man etwas auf eine bestimmte Weise sieht oder hört?

 

Dr. Shankar: Ich meine nicht, dass „Nachdenken“ oder „Ergründen“ Zeit bräuchten. Sie sind ein Geschehen und versetzen den Menschen in einen Zustand der Zeitlosigkeit. Der Mensch muss verstehen, dass das Leben zeitlos ist. Und die Wissenschaft ist zu der Erkenntnis gekommen, dass Zeit im Leben nicht existiert. Hast du jemals von einem Herrn namens Julian Barbour gehört oder im Internet über ihn gelesen?

 

Iain McNay: Nein.

 

Dr. Shankar: Er ist Wissenschaftler, Astrophysiker. Erst letzte Woche sind wir uns begegnet; mir war nämlich ein Youtube-Video über ihn aufgefallen, das in Holland von ein paar Holländern gemacht wurde. Dort hat er - ein Wissenschaftler! - verkündet, dass Zeit illusionär ist und im Leben nicht existiert. Der Mensch muss dies verstehen.

 

Iain McNay: Wie hast du das erreicht? Ich weiß, du warst ursprünglich Arzt und Wissenschaftler. Wie bist du zu dieser Erkenntnis gekommen?

 

Dr. Shankar: Ich verstehe diese Frage „Wie?“ Der Mensch möchte wissen, „Wie?“, „Wie hat er das gemacht?“ „Wie hat er das geschafft?“

 

Iain McNay: Natürlich!

 

Dr. Shankar: Ich sag‘ es dir: Ich weiß es nicht, ich war ja, wie jeder andere Mensch,

völlig von der Medizin überzeugt. Und die Medizin ließ mich erkennen, dass es nicht ich war, der die Leute heilt, weil Arznei ja auch nicht krank macht, sondern der Mensch glaubt, dass sie heilt. Nicht der Mensch nimmt sie ein, das macht die Arznei selbst, also müsste sie der Handelnde sein, doch Arznei hat keinen Verstand. Und die Medizin ließ mich erkennen: Nein, nein, der Mensch ist einfach nicht fähig, dies zu tun. Daher wurde ich Wissenschaftler und das Leben führte mich tief in die Wissenschaft, auf die Nano-Ebene: Ich arbeitete an einzelnen Zellen mit Flüssigkeitskonzentrationen im Nanomol-Bereich. Ich sah das Leben also in mikroskopisch kleiner Form und dort gibt es keinen Verstand. Ich interpretierte die dortigen Vorgänge mit meinem eigenen Verstand, doch die Prozesse in einer einzelnen Zelle hatten tausend verschiedene Facetten. Zellen haben keinen eigenen Verstand.

 

Iain McNay: Stimmt.

 

Dr. Shankar: Und dadurch erkannte ich: Unser gesamter Körper besteht aus Milliarden von Zellen, die keine individuellen eigenen Verstände haben. Ich erkannte also, dass es viel größer ist als dies, und dachte darüber nach. Dann fiel es mir einfach so zu, wie es auch Descartes einfach zufiel and Isaak Newton, der im 16. Jahrhundert herausfinden wollte, was Licht ist, beide waren am Phänomen Licht interessiert. Und ohne dass man sagen könnte, wie, geschah es mir, dass ich erkannte, dass die gesamte Welt nichts weiter ist als eine optische und auditive Illusion aus Licht und Ton. Beim Durchblättern der heiligen Schriften, merkte ich, dass genau dies auch die Erleuchteten sagten: „Das Leben ist ein Schauspiel aus Licht und Ton und nichts Wirkliches.“ Und alles fügte sich von selbst; ich tat nicht das Geringste; es geschah einfach, wie auch sonst alles im Leben einfach geschieht. Es ist nur ein Umschalten, eine Verschiebung des Bewusstseins, vom Verstand ins Leben.

 

Iain McNay: Und wie wirkte sich dies auf deine menschliche Seite aus?

 

Dr. Shankar: Die Auswirkungen waren, dass das Leben immer noch dasselbe war; es hat sich niemals verändert. Die Veränderung war: Alles ist perfekt. Egal, was der Mensch glaubt, alles ist perfekt. Egal, was er über seinen Verstand sagt, es ist perfekt; es handelt sich dabei um den Grad an Verständnis, der jedem einzelnen geschehen ist, klar? Ich habe Mitgefühl; ich beschuldige nicht, ich mag niemanden und lehne keinen ab. Was kann der Andere denn tun? So ist er eben. Eine Pflanze beschwert sich bei der anderen nicht: „He, ich mag dich nicht, hau ab!“ Ein Tier sagt zu einem anderen nicht: „Ich mag dich nicht, hau ab!“ Nur der Mensch verwendet Worte und Sprachen und trennt sich vom Leben ab. Er muss verstehen: Er ist das Leben. Die Pflanzen und Tiere kamen durch Evolution zustande und dies gilt auch für den Menschen. Die Evolution ist eins. Alles geschieht. Ein sehr intelligentes Schauspiel aus Licht und Ton.

 

Iain McNay: Doch taucht nicht auch auf... der grundlegende Punkt ist...wo der Mensch sieht... als sein Bezugspunkt... und es ist wahr, ich weiß es aus Erfahrung, wenn ich in meinem Verstand feststecke, dass ich ein getrenntes Individuum bin, „Ich will dies bekommen“ und „jenes will ich nicht erleben oder fühlen“ - dann habe ich ohne Ende Kämpfe in meinem Verstand, wenn ich dann aber bereit bin, mich einfach zu entspannen - so drücke ich es eben aus - und etwas Größerem erlaube, da zu sein, wird das kleine „Ich“ schließlich kleiner und irgendwie ist da mehr Verbundenheit. Dabei fällt mir ein: Wir hatten ja gerade erst dieses schreckliche Erdbeben in Haiti und dort ist es sehr schwierig - die Leute haben kein Zuhause mehr, ihre Verwandten sind tot oder verletzt und haben nichts zu essen - also es ist sehr schwierig zu sehen, dass das Leben unter solchen Umständen perfekt ist.

 

Dr. Shankar: Den ersten Teil der Frage zuerst: Bist du dir darüber im Klaren, dass deine Erfahrung nichts Wirkliches ist, sondern nur ein Gedanke im Verstand? - Zum Ersten. Zum Zweiten: Bist du sicher, ist sicher bewiesen, dass du den Denkprozess in Gang setzt, dass du denken kannst, oder geschehen dir Gedanken einfach? Darauf komme ich noch zurück. Zum zweiten Teil der Frage, Haiti: Dass „sie leiden und dies und jenes sind“ - o.k. Lass mich noch eine Frage stellen: Willst du mir etwa sagen, dass irgend ein westlicher Mensch, der jeden Komfort und Sicherheit hat, die man mit Geld kaufen kann - ist er, in jedem Augenblick, zufrieden, in Frieden, ohne einen Gedanken der Sorge oder Angst.

 

Iain McNay: Sie sind am meisten verzweifelt, die Leute, die alles haben. Sie merken, dass sie zwar alles haben, es aber trotzdem nicht funktioniert.

 

Dr. Shankar: Was soll das dann, „dass die in Haiti leiden“? Sie sind glücklich!

 

Iain McNay: Nein.

 

Dr. Shankar: Da sind doch Leute nach zwei Wochen lachend aus den Trümmern gekommen, oder?

 

Iain McNay: Da war vielleicht dieser Eine, der hat aber nicht wirklich gehungert, er hatte etwas zu Essen und zu Trinken dort unten.

 

Dr. Shankar: Nein, es gibt noch viele andere. Nimm einen gebildeten Menschen - in was für einer Verfassung ist er nach zwei Wochen unter den Trümmern? Auch in Haiti ist es also ein Prozess der Evolution, es ist die Bestimmung. Schau mal, nur keine voreiligen Schlüsse ziehen! Der Mensch schlussfolgert in seinem Verstand, er hat nicht die Geduld, zu beobachten. Schau jetzt mal ganz genau: Wie viele Länder werden nach Haiti kommen und zur Entwicklung des Landes beitragen: Krankenhäuser werden kommen, Schulen, Banken, Industrie - alles geschieht zum Besten. Damit Aufbau geschehen kann, muss es Zerstörung geben. Selbst unsere hoch entwickelte Welt entstand aus einem weit zurück liegenden Desaster. Denk an die prähistorischen Zeiten: Es ist ein Prozess des Lebens.

 

Iain McNay: Ich verstehe.

 

Dr. Shankar: Ganz genau, es ist kein Verstand, der auf Haiti ein Erdbeben auslöst; Erdbeben kommen nicht durch den Verstand. Wenn der Mensch der Handelnde wäre, sollte er ein Erdbeben stoppen. Doch das kann er nicht, es passiert einfach - auf viele Arten. Erdbeben haben natürliche Ursachen, sie können aber auch durch Bombardierung entstehen: Man kann irgendwo ein Erdbeben durch Bomben erzeugen, oder nicht?

 

Iain McNay: Doch was passiert mit dir, wenn du diese Leute leiden siehst? Fühlst du dann überhaupt irgendetwas?

 

Dr. Shankar: Wenn Menschen leiden, habe ich Mitgefühl, weil sie nicht verstanden haben, dass sie in ihrem Verstand leiden und nicht im Leben. Dieses Verständnis ist eben das, was ihnen bislang geschehen ist. Im Leben gibt es überhaupt kein Leiden. Leiden ist nichts weiter als ein Gedanke im Verstand.

 

Iain McNay: Doch wenn du körperliche Schmerzen hast, ist das eine ganz schöne Herausforderung!

 

Dr. Shankar: O.k. Vielleicht überrascht es dich zu hören, dass wenn Menschen im Krieg aufeinander schießen oder von Bomben getroffen werden... manchen Soldaten wurden die Beine in die Luft gejagt und doch haben sie in diesem Augenblick keine Schmerzen, solange ihnen niemand sagt, dass sie ihren Fuß verloren haben. Dann aber werden sie von Schmerzen ergriffen. Manche werden von Schüssen getroffen, ohne Schmerzen zu haben...

 

Iain McNay: Das liegt aber am Schock. Später spüren sie den Schmerz.

 

Dr. Shankar: Später, aber nicht sofort.

 

Iain McNay: Nein, wegen des Schocks.

 

Dr. Shankar: Auch dieser Schmerz ist ein Gedanke im Verstand. Ich bin im tiefsten Afrika oder Indien in einigen Dörfern Frauen begegnet, die ihre Kinder völlig schmerzfrei zur Welt brachten. Und ein paar Kilometer von hier in der Stadt oder im Dorf haben sie den Gedanken, dass eine Entbindung sehr schmerzhaft ist, und schreien vor Schmerzen. Schmerzen sind also auch ein Gedanke im Verstand. Natürlich fragt man sich, was man gegen körperliche oder psychische Schmerzen tun soll. Der Mensch versteht nicht, dass körperliche und psychische Schmerzen beide psychisch sind. Man sollte sich anschauen, wo das alles seine Wurzeln hatte, wie diese auditive Illusion aus Ton in Form von Schmerz in den menschlichen Verstand gekommen ist. Zunächst einmal werde ich dir eine Gelegenheit geben und dir eine Frage stellen. Vor allem muss sich der Mensch in seinem Verstand darüber im Klaren sein, ob es im Leben Handlungen gibt oder nicht. Lass mich dir erklären, was es bedeutet, dass Handlungen im Leben nicht existieren, dann glaube ich, wird der Menschheit ein Verständnis anfangen zu geschehen. Der Mensch ist nämlich davon überzeugt, dass das Leben voller Handlungen ist und er jeden Tag alles Mögliche machen muss, und dabei will er Vertrauen haben! Das wird bestimmt nicht geschehen, solange man sich nicht darüber im Klaren ist, dass Handlungen eine optische Illusion sind und wie es dazu gekommen ist. Eine optische Illusion hat den Menschen von einer Realität überzeugt. Wenn du bereit bist, mir zuzuhören, werde ich es erklären, wenn nicht, nehmen wir die nächste Frage. Entscheide dich.

 

Iain McNay: Nein, du sollst entscheiden. Du bist dabei, es zu erklären.

 

Dr. Shankar: Schön. Dafür brauche ich ein wenig Zeit, in Anführungszeichen. Hör zu! An spirituellen Orten, wo es angeblich spirituell zugehen soll, hört man ständig in Bekenntnissen und Predigten das Lippenbekenntnis, dass das Leben oder besser gesagt die Welt illusionär ist. Und ich bin ganz sicher, dass du das auch schon gehört hast.

 

Iain McNay: Oft.

 

Dr. Shankar: Ganz genau. Und sicher ist dir auch aufgefallen, dass dir noch keiner erklärt hat, warum die Welt illusionär ist. Es wird einfach akzeptiert, dass sie eine Illusion ist, doch dann gehen diese Leute raus und sagen „Ich muss mein Auto fahren. Ich muss dort hin gehen.“ Hey, komm schon - alles ist doch real für dich. O.k.? Also nun - gut zuhören. Die Wissenschaft hat bewiesen und du weißt es auch, so wie jeder Mensch, dass die Grundbausteine des Lebens Energie sind. Ob im Mikrokosmos oder im Makrokosmos - überall nur Energie! Zerlegt man einen Tisch in seine kleinsten Bestandteile oder eine Blume, ein Tier oder einen Menschen, ganz egal was: Am Ende stößt man auf Energie. Und sicher hast auch du gelernt, dass diese Energie aus Atomen, Elektronen, Neutronen und Protonen besteht. Wenn man sie dann noch weiter zerlegt, kommt man zu den Quarks, den Superquarks, den Bosonen und nun erforscht der Mensch die sogenannten Higgs-Teilchen. In der Schweiz, an einem Ort namens CERN, wird intensiv darüber geforscht. Also sind der Mikrokosmos und der Makrokosmos, das Weltall also, nichts weiter als Energie.

 

Iain McNay: Ja.

 

Dr. Shankar: Na also. Doch was ist Energie? Kann man sie noch weiter zerlegen also selbst Higgs-Teilchen... zerleg sie doch noch weiter - am Ende wirst du auf Licht stoßen, reines Licht; das ist es. Daher sehen wir reflektiertes und nicht reines Licht. Das Leben ist also nichts anderes als reines Licht. Man kann es Intelligenz oder Gott oder sonst irgendwie nennen - das Wort ist unwichtig - der Mensch muss einfach nur verstehen, dass alles seinen Ursprung im Licht hat, denn wenn alles eine Illusion ist, was könnte eine Illusion dann sein? Sie muss eine Reflexion sein, nichts Substanzielles. Und die Eigenschaft von Licht ist, zu reflektieren. Licht reflektierte also anfangs eine optische Illusion der fünf Elemente - ich werde das jetzt nicht so detailliert wie in dem Buch „Evolution des Verstandes“ erklären. Diese vom Leben reflektierten fünf Elemente wurden durch Höherentwicklung und Evolution zu Pflanzen und zwar als eine optische Illusion, vergiss das nicht. Kannst du mir folgen, Iain?

 

Iain McNay: Problemlos.

 

Dr. Shankar: Sehr gut. Nach den Pflanzen ist also eine optische Illuision von Tieren entstanden; wie aus Pflanzen Tiere entstanden sind, wird dort auch genau erklärt; das mache ich jetzt nicht; jetzt erkläre ich das mit der „Handlung“ zu Ende. Nach einer optischen Illusion von Tieren entstand auch eine vom Menschen, in dem ein Verstand existierte. Auch in Tieren gab es einen Verstand und in Pflanzen, den fünf Elementen und selbst in reflektiertem Licht und zwar in rudimentärer Form. Der Verstand begann zur menschlichen Form zu gelangen und dort sollte er sich höher entwickeln, um den Menschen davon zu überzeugen, dass er der Handelnde, Sprechende und Denkende ist. Nun war eine Bühne errichtet, in Form einer optischen Illusion eines Menschen. In diesem menschlichen Wesen war auch ein Verstand, er musste jedoch erst aktiviert werden. Wie wurde er aktiviert? Es gab außerhalb vom ihm eine optische Illusion von Pflanzen, Bergen, Gewässern oder was auch immer es da in rudimentärer Form gab. Alles, was sich außerhalb vom Menschen befand, war nun eine optische Illusion, das heißt, dass die grundlegende Natur der Illusion Licht war. Von den äußeren Dingen drangen Lichtstrahlen in die Augen des Menschen ein und erzeugten im menschlichen Verstand ein Bild. Kannst du mir folgen?

 

Iain McNay: (nickt)

 

Dr. Shankar: O.k. Und dieses Bild, diese externe Illusion, erzeugte ein Bild im menschlichen Verstand und im Laufe der Evolution noch eines und noch eines; es war ein sehr subtiler Prozess des Lebens. Wenn es nicht zu lange dauern würde, könnte ich dies genau erklären, ich werde mich aber kurz fassen. Zunächst bildete sich die äußere Welt im menschlichen Verstand ab in Form von Bildern, Bildern, Bildern, o.k.? Nach der äußeren Welt kam der Mensch dann näher zu seinem Körper: langsam, sehr subtil, bildeten sich in seinem Verstand Bilder von seinen Händen, Füßen und seinem Haar. Ich nehme jetzt als Beispiel die Hand, weil dem Menschen Handlungen zu schaffen machen, weil seine Hände daran beteiligt sind; er ist also über seine Hände bekümmert. Als in seinem Verstand plötzlich, wie ein Aufblitzen, das Bild einer Hand geformt wurde, bemerkte er es nicht, weil er keinen Verstand hatte, um es bemerken zu können; nur ein Bild wurde gebildet, mehr nicht: einmal und nach einer gewissen Zeit, ein erneutes Aufblitzen von einer Hand. Das Bild von einer Hand erschien also immer wieder in seinem Verstand, bis er visuell erkannte, „Ha, Bild von einer Hand.“ Dann begannen ihm diese Bilder ziemlich regelmäßig zu erscheinen, sodass er mit der Hand vertraut wurde. Und als ihm auch noch die andere Hand geschah, konnte er von nun an zwei Bilder sehen. Wenn sich diese beiden Bilder trafen, und zwar so (klatscht in die Hände), war dies ebenfalls ein Bild und er begann, so zu gehen (führt seine Hände zusammen). Dabei sah er seine beiden Hände und weil er dies bemerkte, war er sicher, seine Hände gegenseitig berühren zu können. Folgst du mir?

 

Iain McNay: Ja, ich verstehe, was du sagst.

 

Dr. Shankar: Der Mensch muss verstehen, wie sich die Illusion in seinem Verstand herausbildete, die er als Realität außerhalb von sich wahrnimmt. Sonst hat er keine Chance, Iain, der Mensch hat sonst keine Chance; er bleibt in seinem Verstand gefangen. Also verstand der Mensch langsam, dass sich all seine Bewegungen in seinem Verstand in Form von Bildern abzubilden begannen; die Bilderfolge wurde schneller und durch die Geschwindigkeit wurde aus einer Bewegung eine Handlung - nicht dass sich der Mensch nicht auch schon ohne seinen Verstand bewegt hätte; das tat er, denn er war ja eine optische Illusion, die von Licht gelenkt wurde. Daher wurde der Mensch im Laufe der Evolution überzeugt, dass es eine Handlung gibt; seine Hand bewegt sich ja, um Wasser vor ihm aufzunehmen und heranzuführen. Dann transformierten sich diese Bilder zu Ton weiter - Ton ist auch nichts anderes als Lichtwellen, denn Tonwellen existieren als Wellen; Licht existiert als Wellen; Ton ist nichts weiter als Licht mit geringerer Geschwindigkeit. Der Mensch kennt die Geschwindigkeit von reflektiertem Licht, doch es gibt viele Formen von Licht, deren Geschwindigkeit bisher noch nicht vom Menschen gemessen wurde, wie zum Beispiel ultraviolette und infrarote Wellen, die zwar ebenso Licht sind, deren Geschwindigkeit allerdings nicht gemessen wurde. Licht hat also viele verschiedene Geschwindigkeiten; auch unsere Sprache ist nichts weiter als eine Geschwindigkeit von Licht, die als Ton erscheint. Schließlich entwickelten und transformierten sich diese Bilder im menschlichen Verstand zu Ton und der Ton entwickelte und transformierte sich zu Worten. Ich spreche nicht Englisch, es sind nur Töne, die sich im Verstand zur englischen Sprache transformieren. Wäre die englische Sprache real, müsste sie auch ein Chinese verstehen; doch er versteht sie nicht. Wenn ein Inder spricht, ist es für dich nur ein Ton. Für einen Afrikaner wird dies hier nicht als Englisch wahrgenommen, sondern nur als Ton. Der Mensch macht also Töne, die einem höher entwickelten Verstand als eine Sprache erscheinen.

 

Iain McNay: Ja... Ich möchte dich gerne etwas fragen.

 

Dr. Shankar: Nur zu.

 

Iain McNay: Wie ist das Leben, wenn man nicht im Verstand gefangen ist, wenn man nicht von ihm beherrscht wird, wie ist dieses Leben für dich?

 

Dr. Shankar: So wie es auch für alle anderen ist. Es ist genauso wie es auch für meinen intelligenten Verstand ist. Ich beobachte, wie sich mein Körper bewegt und mein Verstand denkt und wie alles geschieht.

 

Iain McNay: O.k. Langsam verstehe ich. Es ist wirklich faszinierend. Du beobachtest also deinen Verstand und wie sich dein Körper bewegt. Doch wer ist nun dieser Beobachter?

 

Dr. Shankar: Ich wusste, dass die Frage kommt; Ich sag‘s dir. Der Mensch ist nicht wachsam und bewusst in Bezug auf seinen Körper und seinen Verstand. Jeden Tag geschehen zahlreiche Körperbewegungen; er bewegt sich in Wirklichkeit andauernd; es gibt keinen Augenblick, in dem der Körper still steht. Er ist niemals unbewegt: Von seiner Geburt bis zu seiner Beerdigung. Ja selbst im Grab wird er sich bewegen und sogar vor seiner Zeugung bewegte er sich als Spermie und Eizelle, die sich bereits als die Nahrung der Eltern bewegt hatten - der Mensch ist also in dauernder Bewegung. Wenn dem Menschen also Wachsamkeit und Bewusstheit geschieht, ist er einfach nur fasziniert, dass sich sein Körper und seine Gedanken andauernd bewegen. Dann wird er ein Beobachter seines Körpers und der Bewegungen seines Verstandes, wie Gedanken in ihm erscheinen, ohne dass er das Geringste dafür tut. Auch einem sehr hoch entwickelten Menschen geschehen Gedanken einfach; er ist sehr wissenschaftlich und angesehen, doch er muss beobachten, dass selbst wenn sich der Körper andauernd bewegt, nicht in jedem Augenblick Worte geschehen. Worte geschehen im menschlichen Verstand mit Unterbrechungen. Der Mensch sollte verstehen, warum dies so ist. Dass er spricht, ist nur sein Glaube, er hat jedoch nicht beobachtet: „Hey, Sprechen geschieht mir mit Unterbrechungen und ich weiß nicht, was das nächste Wort ist oder wann ich etwas sage, und auch nicht, wann sich mein Körper bewegen wird und wann nicht.“ Und was dies angeht, ist der Mensch verloren, doch er behauptet von sich, dass er sich bewegen kann...

 

Iain McNay: Meine Frage ist immer noch da.

 

Dr. Shankar: Deine Frage ist also immer noch da. Ich komme noch darauf, bin noch nicht fertig. Hast du so weit alles verstanden?

 

Iain McNay: Ich verstehe sehr gut.

 

Dr. Shankar: Sehr gut. Nun möchte ich von dir wissen, warum dem Menschen Worte oder Gedanken nicht in jedem Augenblick geschehen. Wieso nicht? Unser Körper ist immer in Bewegung, aber Gedanken geschehen einem nicht in jedem Augenblick. Manchmal ist der Mensch still, manchmal spricht er, manchmal sind Gedanken da. Gedanken sind nichts anderes als innerliches Sprechen und Sprechen ist nichts anderes als äußerliche Gedanken - das ist alles. Doch warum geschieht es nicht jeden Moment? Ich sag‘s dir. Nur bestimmte Wellenlängen von Tonwellen wurden durch Evolution und Höherentwicklung zu Worten, andere nicht. Immer wenn dies nicht geschieht, sind Gedanken und Worte abwesend. Nicht dass Ton abwesend wäre, wenn keine Worte geschehen; Tonwellen sind da, doch sie wurden nicht durch Evolution und Höherentwicklung zu Worten. Dies täuscht dem Menschen vor, dass er sprechen kann und denken, wann er will, und er weiß nicht, dass er nicht denken kann. Der Mensch hat nicht untersucht „Hey, Sprechen geschieht unvermittelt und Nicht-Sprechen auch und ich kann es mir nicht aussuchen.“ Das ist der Grund, warum ich das Leben beobachte, dass ich also einfach alle anderen beobachte, wie sie in ihren Verstand versunken sind und denken, dass sie etwas täten, während ihnen völlig entgeht, dass sich der Körper andauernd bewegt. Der Verstand stellt ungenaue Behauptungen auf, die er dann für die Wirklichkeit hält. Ich werde dir ein Beispiel geben: Bitte schüttle mal meine Hand.

 

Iain McNay: Deine Hand schütteln?

 

Dr. Shankar: Ja, kannst du das bitte?

 

Iain McNay: Klar. (Schüttelt ihm die Hand)

 

Dr. Shankar: Danke, mein Herr. Doch was sagt dir dein Verstand? Er sagt „Weil ich gehört habe, „Schüttle meine Hand“ habe ich Dr. Shankars Hand geschüttelt und natürlich bin ich der Handelnde und der Denkende...

 

Iain McNay: Nein, es war eine spontane Handlung ohne irgendwelche Gedanken.

 

Dr. Shankar: Und wie geschieht die Schlussfolgerung, dass es eine spontane Handlung war? Durch Beobachtung findet man heraus, dass der Verstand niemals wusste, wann sich diese Hand nach vorne bewegen sollte, und er steuerte sie auch nicht andauernd...

 

Iain McNay: Ich weiß, die Hand bewegt sich wie von selbst.

 

Dr. Shankar: Genau. Und sie sagt dir auch nie, wann du den Griff lockern und sie zurückziehen sollst.

 

Iain McNay: Stimmt, es geschieht.

 

Dr. Shankar: Ja, und wenn du nun sicher bist, dass es einfach geschah - genauso geschieht auch alles andere, allerdings ist das, was geschieht, keine Handlungen, sondern eine singuläre, spontane Bewegung, die unkontrollierbar und unvorhersagbar ist...

 

Iain McNay: Ja.

 

Dr. Shankar: Genau dies ist das Leben.

 

Iain McNay: Doch die Gehirnforschung zeigt, wie du sicher weißt, dass Handlungen vor dem Denkvorgang geschehen. Es ist ein minimaler Sekundenbruchteil.

 

Dr. Shankar: Genau. Aber die Wissenschaft muss erst noch verstehen, dass selbst das „Gehirn“ ein Gedanke ist und nichts Physisches.

 

Iain McNay: Ich möchte noch einmal auf meine Frage zurückkommen: Wer ist derjenige, der schaut, hört und sieht und keinen Verstand hat, wer ist das?

 

Dr. Shankar: Es ist kein Individuum, das sich für einen Sprechenden, Handelnden und Denkenden hält - wenn es behauptet, zu sehen, dann ist es nur das Ego, das davon überzeugt ist, sprechen, denken und handeln zu können. Es ist der Beobachter. Und es ist sich sehr klar...

 

Iain McNay: Und dort lebst du?

 

Dr. Shankar: Jeder lebt dort, nicht nur ich.

 

Iain McNay: Doch du bist dir dessen bewusst, oder, da gibt es ein Bewusstsein davon.

 

Dr. Shankar: Nicht Bewusstsein - ich bin gewahr.

 

Iain McNay: Gewahrsein.

 

Dr. Shankar: Ich bin wachsam und gewahr. Wenn du das „Ich bin“ für ein Individuum hältst...

 

Iain McNay: O.k. Ich wollte nur meiner Frage nachgehen. Am besten verwende ich meine eigene Sprache - Ist es etwas, das spontan geschah und sich dann ausweitete, oder war es so, dass es geschah und dann plötzlich alles irgendwie anders war?

 

Dr. Shankar: Gute Frage. In der Erinnerung - wenn ich das Wort „Erinnerung“ überhaupt verwenden kann – erkenne ich einfach, dass alles ein Geschehen war, selbst wenn ich dachte, ich würde es tun. Dies vertiefte sich dann.

 

Iain McNay: Das ist eine unglaubliche Erkenntnis.

 

Dr. Shankar: Es festigte sich einfach und es wird jedem geschehen. Niemand kann etwas tun, um es zu bewirken, einfach weil auch ich nicht das Geringste getan habe. Wer behauptet, etwas getan zu haben, ist ein Handelnder und das ist falsch; es ist immer noch eine Täuschung.

 

Iain McNay: Und hast du beobachtet, dass sich deine menschliche Seite von diesem Zeitpunkt an verändert hat, oder hat deine Frau oder deine Umgebung eine Veränderung beobachtet?

 

Dr. Shankar: Dies war meine menschliche Veränderung, meine Menschlichkeit. Ich hatte niemals eine Erinnerung „Oh, früher habe ich nichts getan und nun bin ich ein Handelnder.“ Nein. Dies war meine Veränderung und ich kann nichts dagegen tun. Wenn ich früher etwas war, dann war das früher, was auch immer es war.

 

Iain McNay: Ja, jetzt verstehe ich. Und wie hat sich deine Persönlichkeit verändert?

 

Dr. Shankar: Ich spüre keine Veränderung. Ich lebe einfach. Wenn sich überhaupt etwas verändert hat, dann für Außenstehende, nicht für mich. Ich lebe einfach.

 

Iain McNay: Was ist mit Emotionen wie Wut, Trauer oder Mitgefühl. Du hast gesagt, dass du manchmal Mitgefühl empfindest, wenn du jemanden in einer schwierigen Situation siehst.

 

Dr. Shankar: (lacht) Mitgefühl ist nur ein Verständnis. Mitgefühl ist: „Er hat noch nicht verstanden; Verständnis wird ihm noch geschehen.“ Und Wut ist für mich einfach nur eine Bewegung; mehr nicht. Warum nennt der Mensch einen reißenden Fluss nicht „sehr wütend“? Und der Mensch bewegt sich genauso wie ein wütender Fluss so herum und schreit und brüllt - was für ein wundervolles Phänomen!

 

Iain McNay: Aber schreist und brüllst du manchmal herum?

 

Dr. Shankar: Wenn ich es tue, werden die anderen es wissen.

 

Iain McNay: (lacht) Schreist und brüllst du manchmal?

 

Dr. Shankar: Woher sollte ich das wissen? Im Moment tue ich es nicht.

 

Iain McNay: Geschehen manchmal in deinem Körper Schreien und Brüllen?

 

Dr. Shankar: Wenn es passiert, werden die anderen es mir sagen.

 

Iain McNay: (lacht)

 

Dr. Shankar: Rehi, schreie und brülle ich herum?

 

Iain McNay: (lacht) Sie kann dich gerade nicht hören.

 

Dr. Shankar: Wenn du mich jetzt schreien und brüllen sehen und hören würdest, könntest du sagen „Ja, Dr. Shankar, du brüllst, du schreist - wunderbar!“ Doch du kannst keine Hypothesen aufstellen „Mache ich oder du dies oder jenes...“ Wenn ich es täte, könnte ich nichts dagegen tun; so ist es nun mal; so ist das Leben. So drückt sich das Leben aus: als ein kleiner oder als ein reißender Fluss, als Gewitter, als Blitz, als Lawine... All dies geschieht auch dem Menschen. Der Mensch besteht nur aus allen kosmischen Elementen; man könnte sagen: Er ist ein Mikrokosmos. Der Mensch ist nicht von den Tieren und Pflanzen getrennt, alles ist jetzt in ihm. Er ist ein Mensch, ein Tier und eine Pflanze - in transformierter Form: Pflanzen und Tiere sehen jetzt wie Menschen aus. Klar?... Der Mensch irrt, wenn er sich nur für einen Menschen hält. Er ist so, wie die fünf Elemente, die Pflanzen und die Tiere jetzt aussehen. Alles ist hier. Wären die Tiere vom Menschen getrennt, würde er nicht existieren. Das wäre vollkommen unmöglich. Alles ist in ihm. So sieht er nun aus. So sehen Tiere, Bäume und die fünf Elemente nun aus; so brilliant ist das Leben.

 

Iain McNay: Glaubst du, dass sich das Bewusstsein weiter entwickelt.

 

Dr. Shankar: Natürlich. Es ist so einfach. Schau zurück: Der Mensch war primitiv, in der Eiszeit, in der Steinzeit. Er hat sich so weit entwickelt und das Leben wird sich ebenfalls weiter entwickeln. Die Zukunft ist genau hier. Der Mensch sollte verstehen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind im „Jetzt“; ohne Trennung. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - Es gibt keine Zeiten, sondern nur ein zeitloses, gedankenfreies „Jetzt“, das eine auditive Illusion von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft projiziert. Wenn du wachsam genug bist - und ich bin sicher, du bist es und hast bereits viel verstanden - der Mensch kann nur über etwas bereits Geschehenes sprechen, nicht vorher oder währendessen.

 

Iain McNay: Ich kann etwas fühlen, während es geschieht, jetzt kann ich eine Energie fühlen, eine Lebendigkeit, oder das Gegenteil, eine Kontraktion. Ich kann etwas fühlen!

 

Dr. Shankar: O.k. Untersuche jedes deiner Worte: Sie können nur aus deinem Verstand kommen.

 

Iain McNay: (impulsiv) Nein, ich kann etwas fühlen! Ich weiß es. Es ist nicht nur in meinem Verstand. Eine Interpretation ist in meinem Verstand, aber trotzdem kann ich etwas fühlen.

 

Dr. Shankar: O.k. Selbst das Gefühl ist ein Gedanke im Verstand.

 

Iain McNay: Nein, da ist eine Energie, weiß du: Energie!

 

Dr. Shankar: (beide lachen) Energie kannst du nicht fühlen, weil du Energie bist. Energie kann Energie nicht fühlen, Iain. Die Intelligenz des Lebens täuscht den Menschen so, dass er denkt, er könnte Energie fühlen - das kann er nicht, wenn er selbst...

 

Iain McNay: Doch da ist ein Gewahrsein...

 

Dr. Shankar: Das ist eine Art, zu kommunizieren... auch ein Gewahrsein... wenn du Energie bist, wie kannst du dann gewahr sein? Wir verwenden das Wort „sich gewahr sein“ und „wissen“ sehr irreführend. Der Mensch ist sich nicht gewahr, er weiß einfach nur. Wenn du gewahr bist, erkennst du, dass es im Leben eine singuläre Bewegung gibt: Alles bewegt sich einfach und auch der Verstand bewegt sich einfach - das ist Gewahrsein, das heißt „Du bist gewahr.“ Aber du weißt einfach nur, ein paar Worte von Zeit zu Zeit. Das ist kein Gewahrsein.

 

Iain McNay: Nein, ich spreche davon, etwas zu fühlen.

 

Dr. Shankar: Fühlst du etwa immer dasselbe dein ganzes Leben?

 

Iain McNay: Natürlich nicht.

 

Dr. Shankar: Also bist du nicht gewahr. Du weißt es, mehr nicht. Wenn du gewahr bist, dann ist dieses Gewahrsein jeden Augenblick konstant, weil es real ist. Und nun werde ich „real“ für dich definieren. Wie wird es deiner Meinung nach definiert? „Real“ ist etwas Unveränderliches, das überall und ewig ist, also außerhalb von Zeit und Raum. Das ist real. Alles Veränderliche ist nicht real. Folglich ist zeitweiliges Sich-Gewahr-Sein nicht real, sondern nur Wissen. Wenn man sich einmal auf reale Weise gewahr geworden ist, ist man sich in jedem Augenblick der Bewegungen des Körpers gewahr und darüber verblüfft und dankbar. Wenn er sich nicht bewegt, sagen mir die Leute, dass ich tot bin, ohne zu wissen, was der Tod ist. Selbst im Tod ist das Leben anwesend. Im Leben gibt es überhaupt keinen Tod. Wäre der Tod eine Realität im Leben, dann hätte das Leben irgendwann ein Ende. Das Leben hat weder ein Ende noch einen Anfang. Folglich ist selbst der Tod illusionär, Iain. Jedem Menschen wird der Tod als ein Prozess der Evolution geschehen, als ein Transformationsprozess von Energie. Der Tod ist nichts Wirkliches, sondern nur eine Transformation. Man geht zurück in die fünf Elemente und taucht wieder auf. Jeden Tag gehst du nachts schlafen und wenn du am nächsten Tag aufwachst, bist du einen Tag älter. Kannst du mir folgen? Du bist nicht derselbe Iain, der am nächsten Tag aufwacht. In Wirklichkeit bist du in keinem einzigen Moment derselbe Iain. In jedem Augenblick veränderst du dich. Dein Haar wächst oder wird kürzer, deine Nägel wachsen; du bist körperlich nicht derselbe. Der Mensch bleibt niemals in jedem Augenblick derselbe, er ist immer einzigartig. Einzigartig! Seine Gedanken, sein Verständnis, seine Gestalt, seine Erscheinung - alles ist einzigartig. Doch der Verstand eines Beobachtenden denkt „Oh, das ist Iain“ und geht zurück zu seinen Überzeugungen, Konzepten, Schlussfolgerungen und Meinungen über Iain. Er sieht seine Meinungen, aber nicht den wirklichen Iain, den er vor sich hat. Also bedeutet „Tod“, dass du dich eines Tages nicht bewegst und sprichst. Und dann wachst du irgendwo in einem kleineren Körper auf - das ist alles. Niemand weiß, wo. Der Tod ist für mich einfach nur ein Wechsel der Postanschrift. Der Mensch muss Geduld haben. Er geht auf seine Reise, doch sobald er diesen Denkprozess vollendet hat, kommt er nicht mehr wieder. Sobald er seine wahre Natur erkannt hat, wird er ewig. Kannst du mir folgen?

 

Iain McNay: (nickt)

 

Dr. Shankar: Da hast du‘s. Doch bis es so weit ist, wird das Drama der Dialoge, Geschichten und des Wissens weitergehen: dieses Drama mit dem Menschen als einem Handelnden, Sprechenden und Denkenden. Und jede Unterhaltung, die der Mensch jeden Augenblick alle Tage hat, überzeugt ihn davon, ein Handelnder, Sprechender und Denkender zu sein. Beobachte bei deinen alltäglichen Unterhaltungen, wie sehr du davon überzeugt bist, der Handelnde zu sein. Zum Beispiel dein eigenes Fernsehstudio: Wie du davon überzeugt bist, so vieles getan zu haben, zum Beispiel all die Vorbereitungen: Farbewahl, dies und jenes. Wie sehr der Mensch davon überzeugt ist, aber er ist sich nicht gewahr, dass dies alles eine singuläre Bewegung ist. Er ist verloren in seinen Gedanken, in seinem Wissen, in seiner auditiven Illusion aus Ton. Kannst du mir folgen?

 

Iain McNay: Ja. Wir haben noch fünf Minuten. Ich möchte dich etwas anderes fragen.

 

Dr. Shankar: War es interessant für dich?

 

Iain McNay: Ja und ich finde es immer noch interessant.

 

Dr. Shankar: Wunderbar.

 

Iain McNay: Ich möchte dich über Stille befragen.

 

Dr. Shankar: O.k.

 

Iain McNay: Wie ist Stille für dich?

 

Dr. Shankar: Man kann nie sagen, wie Stille für jemanden ist, denn Stille ist Stille. Niemand kann etwas über Stille sagen. Wenn man still ist, ist man Stille, man wird Stille und wenn man denkt, was Stille ist, ist man keine Stille, sondern nur weniger Lärm. Wenn es ruhiger ist, verwechselt dies der Mensch mit Stille. Du bist in jedem Augenblick still, Iain, du merkst es nur nicht.

 

Iain McNay: Wie ist diese Stille in deinem Leben. Fühlst du dich die meiste Zeit still?

 

Dr. Shankar: Wenn man Stille wird, gibt es niemanden außerhalb. Da ist nur Stille und man kann nicht sagen, dass man in dieser Stille ist. Man erkennt einfach, dass man Stille ist; du kannst es nicht mit Worten ausdrücken. Du bist Stille - Punkt. Du kannst Stille nicht ausdrücken.

 

Iain McNay: Empfindest du oft Stille?

 

Dr. Shankar: Jedes Gefühl ist ein Gedanke. Ich empfinde sie nicht. Ich bin Stille.

 

Iain McNay: Und du bist dir dessen gewahr.

 

Dr. Shankar: Genau.

 

Iain McNay: Da ist Gewahrsein von Stille.

 

Dr. Shankar: Genau. Und man ist sich gewahr, dass von dieser Stille Töne aufsteigen...

 

Iain McNay: Dies ist also ein Bezugspunkt: Dass du dir der Dinge, der Töne und des Lichts, die von diesem Bezugspunkt aus aufsteigen, gewahr bist?

 

Dr. Shankar: Da ist Stille und von dieser Stille hört man, wie der Ton aufsteigt, der dann in Worte transformiert wird. Vielleicht verstehst du es mit einem Beispiel: Bei den Talks, die für mich veranstaltet werden, um zu den Leuten zu sprechen, sage ich ihnen normalerweise: „Wer eine Frage hat, soll seine Hand heben, dann wende ich mich an ihn.“ Das sage ich, weil die Leute normalerweise ihre Fragen durcheinander stellen; alle reden durcheinander und dann ist es für mich nur ein Tongewirr, das mir nicht als Worte, sondern nur als Töne erscheint. Wenn du zum Beispiel in einen Raum kommst, in dem gerade eine Party stattfindet, hörst du dann, was die Leute sagen, oder ist es nur ein Ton für dich? „Rrrrrrr“? Es ist nur Ton, wenn man in einen Raum voller Leute kommt. Und wenn man sich jemand Bestimmtem zuwendet und sich mit ihm unterhält, dann wird sein Ton für einen hörbar und verständlich, sonst ist es nur eine Menge Töne - und genau dies empfinde ich, wenn die Leute durcheinander reden. Dann beobachte ich es einfach und bewundere den Ton. Und wenn mich jemand anspricht und zu mir allein spricht, dringen die Wellenlängen seiner Töne in mich ein und bilden eine Bedeutung und ein Wort und dann antworte ich ihm und vergesse es und damit ist es für mich erledigt, ich nehme es nicht mit in die Zukunft oder Vergangenheit, nichts dergleichen. Ich höre den Ton „Aha, er kommt offenbar zu mir“ und ich beobachte, wie die Antwort geschieht, und das war‘s - was auch immer er über mich für Schlüsse zieht, ist sein Problem, nicht meines.

 

Iain McNay: Danke. Wir müssen jetzt aufhören.

 

Dr. Shankar: Vielen Dank.

 

Iain McNay: Danke für‘s Kommen und das Gespräch. Ich möchte noch einmal an all diese Worte der Weisheit in deinen Büchern erinnern. Ich glaube das neueste ist „Evolution des Verstandes“.

 

Dr. Shankar: Und es wird den Leuten schwer fallen, wenn sie es durch die Brille ihrer eigenen Überzeugungen betrachten - so begreift man es nie. So soll es nun mal sein!

 

Iain McNay: Danke für‘s Kommen.

 

Dr. Shankar: Gern geschehen.

 

Iain McNay: Und danke euch allen, dass ihr conscious.tv eingeschaltet habt. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.

 

 

 

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