Dr. Vijai S Shankar MD.PhD.

India Herald

Houston, USA

4 April 2008

 

Wer sind die Guten und die Gerechten? Sind sie eine besondere Gattung Mensch? Kann es überhaupt möglich sein, dass solche Menschen in dieser Welt leben? Wenn ja, dann hätte Gott sie erschaffen, denn niemand anders als Gott könnte diesen speziellen Menschenschlag hervorbringen. Wer aber könnten diese Menschen sein und wie würden sie sich anderen, den Normalsterblichen, zu erkennen geben, die übrigens vom selben Gott erschaffen werden, der auch die Guten und die Gerechten manifestiert hat? Warum sollte Gott nicht jeden Einzelnen so erschaffen, dass er gut und rechtschaffen ist? Und weshalb sollte Er die Bösen und die Ungerechten manifestieren? Wer aber außer Gott könnte diese überhaupt erschaffen, wenn Er der alleinige Schöpfer ist? Würde Ihn das Erschaffen der Bösen und der Ungerechten zu Gott machen? Wenn Gott Falsches tun könnte – und Er hätte es getan, wenn er die Bösen und die Ungerechten erschaffen hätte –, wie könnte man dann dem Menschen vorwerfen, böse und unredlich zu sein, wenn es doch Gott gewesen wäre, der den Menschen so geschaffen hat, wie er ist?

 

Die Guten und die Gerechten sind diejenigen, die frei von dem sind, was böse und unredlich ist. Das bedeutet, dass diese Menschen frei von Dualität sein müssten. Gibt es aber Menschen, die frei von der Dualität des Verstandes sind? Kann der Verstand frei von Dualität sein? – Die Guten und die Gerechten bedürfen des Verstandes, wollen sie mit den Bösen und den Unredlichen in Kontakt treten, um ihnen die Grundlagen des Gut- und Rechtschaffenseins zu predigen. Selbstverständlich müssten sie dann wissen, was böse und ungerecht ist. Daher kann es niemals einen Menschen geben, der frei von dem ist, was der Verstand für böse oder unredlich hält. Und wie könnte es dann im Leben jemals jemanden geben, der wirklich gut und rechtschaffen ist?

 

Der Mensch muss begreifen, dass die Welt illusionär ist, wie die Weisen es sagen; denn das Leben ist ein Umwandlungsprozess von Energie, die Licht ist, und dieser Vorgang projiziert eine optische und auditive Scheinwelt. Diese wird nicht von Handlungen und Situationen heimgesucht, die böse und ungerecht sind und die der Mensch vermeiden oder nicht ausführen sollte, um sich stattdessen darum zu bemühen, gut und rechtschaffen zu sein. Der Mensch muss verstehen, dass das Leben zeitlos und gedankenleer ist – er allerdings, um Gutes oder Böses zu tun, im Leben Zeit und Verstand bräuchte – doch sind beide im Leben nicht vorhanden. Das Leben ist eine einzige, spontane, unkontrollierbare und unvorhersagbare Transformation von Intelligenz oder Gott.

 

Allgemein wird angenommen, dass spirituelle oder religiöse Menschen gut und gerecht seien. Seltsamerweise kann beobachtet werden, dass gerade sie es sind, die ständig predigen, man solle Gutes tun und rechtschaffen sein. Wenn sie wirklich gut und rechtschaffen wären, würden sie dann den anderen als böse und unredlich bezeichnen? Würde diese Aussage nicht belegen, dass sie ebenso böse und ungerecht sind wie die Beschuldigten? Der Ankläger, das Anklagen und der Angeklagte sind ein und dasselbe. Alles und jeder ist göttlich, denn alles ist Form und Ausdruck Gottes.

 

Weise ist derjenige, der erkennt, dass der Mensch zu prähistorischen Zeiten keinen funktionierenden Verstand brauchte, damit das Leben ablief. Gott manifestierte den Verstand, um die Illusion zu projizieren, dass der Mensch der Handelnde, Sprechende und Denkende ist. Der Überzeugung „Ich denke˝, „Ich spreche˝ und „Ich tue˝ kann niemand entkommen, einschließlich der spirituellen und religiösen Menschen. Es sind (besonders) die Spirituellen und die Religiösen, die glauben, dass der Mensch der Handelnde sei. Wenn der Mensch im Allgemeinen annimmt, dass er der Handelnde, Sprechende und Denkende ist, so ist das verständlich, doch für die Religiösen und die Spirituellen steht diese Behauptung, dass der Mensch handelt, spricht und denkt, im Widerspruch zu der Aussage, dass Gott überall ist. – Gott erscheint als die Guten und die Gerechten und als die Bösen und die Ungerechten, nur um die Dualität des Verstandes zu bewahren.

 

Die Guten und die Gerechten haben weniger von den Bösen und den Ungerechten, und die Bösen und die Ungerechten weniger von den Guten und den Gerechten. Die Guten und die Bösen, sowie die Gerechten und die Ungerechten sind aber ein und dasselbe: Sie sind nur zwei Extreme derselben Energie, die in Eintracht vereint und nicht voneinander getrennt sind, wie sie zu sein vorgeben. Jede Generation hat die Guten und die Gerechten und auch die Bösen und die Ungerechten, und jede kommende Generation wird wieder beide anteilig vorfinden. Sie werden in jeder Generation vorhanden sein. Das Leben initiiert dies, damit der Mensch begreifen möge, dass sie illusionär sind und nicht etwas physisch Reales. Das Reale ist das, was sich nicht verändert und ewig ist, und das ist das Leben bzw. Licht oder Gott; das Reale besteht nicht aus Handlungen, Situationen und Sprache oder Gedanken, die sich verändern und zeitlich begrenzt sind, denn diese sind eine optische und auditive Illusion von Licht und Ton – und das macht das Leben zur Illusion.

 

Diejenigen, die andere beschuldigen, und davon gibt es viele, sind jene, die ein oberflächliches Verständnis vom Leben haben. Der Mensch wird nicht gut oder rechtschaffen, indem er andere als böse oder unredlich verunglimpft. Dadurch stellt er nur seinen eigenen Verstand als böse oder ungerecht bloß. In Kategorien von böse und unredlich zu denken, läuft darauf hinaus, ebenso schuldig zu sein wie der Beschuldigte. Der Ankläger, das Anklagen und der Angeklagte sind ein und dasselbe. Spirituelle Menschen, die von einer neuen Welt sprechen, einer neuen Erde und universellem Frieden, haben nicht verstanden, dass die Welt in jedem Augenblick stets neu und frisch und das Leben frei vom Verstand ist – eben deshalb ist es ja in jedem Augenblick friedlich und harmonisch. Ebenso haben sie nicht verstanden, dass jede Technik, wie populär sie auch sein mag, dennoch illusionär ist, da sie allein in einer illusorischen Welt vorkommt. Das Leben ist intelligent, weil es als spirituelle Menschen mit ihrem Verhalten in Erscheinung tritt, um seine illusorische Welt aufrechtzuerhalten. In jedem Augenblick sind sowohl das Reale als auch das Illusionäre anwesend, wobei das Reale das Illusionäre reflektiert. Das Leben ist eine Manifestation von Licht und Ton.

 

Das Leben weiß, wie es seine Illusion bewahrt, denn wenn die Illusion verschwinden würde, könnte die Welt nicht geschätzt und gewürdigt werden. Es ist allein das Illusionäre, nicht das Reale, das geschätzt und gewürdigt werden kann. Das Reale kann niemals bewundert werden, da der Bewunderer, das Bewundern und das Bewunderte ein und dasselbe sind. Die Intelligenz des Lebens kann vom beschränkten Verstand nicht erfasst werden. Es ist das Leben, das den Verstand denken lässt, er müsse das Böse und das Ungerechte aus der Welt schaffen; genau dieser Versuch ist es aber, der das Böse und das Ungerechte am Leben erhält. Die Welt, die der Mensch erfährt, ist eine Welt von Gedanken, und das sind auch die Handlungen, die gut oder böse, spirituell oder religiös sind. Dies lässt alle Erfahrungen lediglich Gedanken im Verstand und keine Realität sein. Wer den Menschen beschuldigt, böse und unredlich zu sein, hat in Wirklichkeit Gott beschuldigt, da der böse Mensch ein Ausdruck Gottes ist. Derlei Gedanken widerfahren dem Menschen nur, damit er das begreifen kann. Gott hat viele Formen und diese erscheinen dem Verstand manchmal als gut und manchmal als böse. Das Leben ist zeitlos, gedankenleer und ohne Handlungen, Individuen und Verstand. Das Leben braucht den Verstand nicht, um abzulaufen – es entwickelt sich selbst weiter, und das ist seine Intelligenz.

 

Der Mensch beschuldigt, streitet, hasst, kritisiert, zweifelt und ist eifersüchtig auf diejenigen, die ihm nahestehen. Wie könnte solch ein Mensch von sich denken, gut und rechtschaffen zu sein, auch wenn er dies behauptet und das von anderen ebenfalls erwartet? Das gilt selbst für die spirituellen und religiösen Menschen, denn niemand ist frei davon, da der Verstand in jedem Menschen der gleiche ist. Gott hat jeden Verstand gleich gestaltet (soweit es seine Funktionalität anbelangt), damit der Mensch begreifen kann, dass niemand besser ist als der andere. Die Vorstellung von Gut- und Rechtschaffensein ist und wird immer eine Idee im Verstand bleiben – eben nur ein Gedanke.

 

Der gegenwärtige Moment, in dem der Mensch lebendig ist, ist zeitlos und frei von Gedanken, und daher ist es dem Menschen möglich, erleuchtet zu werden. Erleuchtung ist zeitlos und gedankenfrei, und das bedeutet, dass der Verstand in der Gegenwart abwesend ist, er aber dem Menschen ständig und überzeugend berichtet, was ihm momentan in der Gegenwart widerfährt und was er tun sollte, um Erleuchtung zu erlangen. Wie aber sollte das möglich sein? – Der Verstand erzählt einfach nur eine Geschichte von einer einzigen, zeitlosen und gedankenfreien Bewegung, die das Leben ist; und diese Geschichte ist zweifelsohne sehr interessant und noch dazu mehr als überzeugend. Das Verständnis, dass der Verstand ein Geschichtenerzähler ist, ist Erleuchtung! Es sind nicht die Bemühungen oder das Propagieren, gut oder rechtschaffen zu sein, die zu Erleuchtung führen, denn diese sind letztlich doch nur eine Geschichte, die das Leben erzählt. So ist die Intelligenz des Lebens!

 

© Copyright V.S. Shankar 2008

 

 

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