Dr. Vijai S Shankar MD.PhD.
Published on www.academy-advaita.com
The Netherlands

4th July 2017

Gebundenheit

„Abhängigkeit"

Gebundenheit impliziert Abhängigkeit. Offensichtlich lässt diese Gebundenheit oder Abhängigkeit den Menschen nicht in Freiheit leben, denn Freiheit wird von allen gesucht. Die erste Frage, die es zu verstehen gilt, lautet also: Wovon ist der Mensch im täglichen Leben abhängig?

Seit Urzeiten ist er bestrebt, sich von Gebundenheit oder Abhängigkeit zu befreien. Dass die Freiheit von der Abhängigkeit immer noch gesucht wird, zeigt, dass der Mensch noch nicht frei von Gebundenheit oder Abhängigkeit ist.

Gebundenheit muss zutiefst verstanden werden, wenn die Menschheit Freiheit von der Gebundenheit angestrebt oder den Wunsch und die Sehnsucht danach hat. Wie kann Gebundenheit tief verstanden werden, lautet die Frage? Diese Frage wird klar, wenn man über die erste Frage oben nachdenkt: Wovon ist der Mensch im täglichen Leben abhängig? Denken wir nun also tiefer nach. 

Der Mann oder die Frau ist völlig abhängig vom Gedächtnis. Er oder sie ist völlig abhängig vom Gedächtnis, weil er oder sie nur durch das Gedächtnis in der Lage ist, seine oder ihre Umgebung zu kennen und zu erkennen.

Und nur durch das Gedächtnis kann er oder sie wissen, wer er, sie oder andere sind.

Handlungen, Überzeugungen und das, was zu tun und zu lassen ist, sind durch das Gedächtnis bekannt, anderweitig kann man es nicht wissen.

In ähnlicher Weise weiß ein Mann oder eine Frau nur aufgrund des Gedächtnisses, was er oder sie sagen soll und was nicht, und auch, was er oder sie denken soll und was nicht. Das gilt auch für das Verhalten.

Das Gedächtnis besteht aus Gedanken, und der Mensch hat seine Gedanken nicht gemacht. Gedanken haben sich evolutionär entwickelt und machen das Gedächtnis aus und der Mensch hat keine Kontrolle über die Evolution. Das bedeutet, dass sich das Gedächtnis durch die Intelligenz des Lebens und nicht durch den Intellekt des Menschen entwickelt hat.

Ein Mann oder eine Frau muss zutiefst verstehen, dass sie die Evolution nicht durch ihren Intellekt korrigieren können. Sie müssen auch verstehen, dass selbst die Intelligenz des Lebens die Evolution nicht korrigieren kann, denn die Evolution ist spontan, unkontrollierbar, unvorhersehbar und ein kontinuierliches Fließen. 

Ein Mann oder eine Frau muss zutiefst verstehen, dass er oder sie ein Gedächtnis braucht, um sein oder ihr tägliches Leben zu leben. Er oder sie muss auch verstehen, dass sein oder ihr Gedächtnis nicht anders sein kann als das, was es in jedem Moment des täglichen Lebens ist.

Ein Mann oder eine Frau muss zutiefst verstehen, dass sein oder ihr Gedächtnis nicht anders sein kann als das, was es in jedem Moment ist, weil er oder sie den Moment im Leben nicht macht.

Mann oder Frau müssen zutiefst verstehen, dass ein Kind frei erscheint, weil das Kind kein funktionierendes Gedächtnis im täglichen Leben hat. Wenn Mann oder Frau zutiefst verstehen, dass sie durch die Intelligenz des Lebens an ihr Gedächtnis gebunden sind, damit sie ihr tägliches Leben leben können, und nicht aufgrund ihres Intellekts oder ihrer Anstrengung, beginnt er oder sie in Freiheit von Gebundenheit zu leben.

Autor: Dr. Vijai S. Shankar
© Copyright V. S. Shankar 2017

Anmerkung des Herausgebers:
Es ist unbestritten, dass der Mensch auf das Gedächtnis angewiesen ist, um im Leben zurechtzukommen. Bei Kindern wird die Entwicklung dieser Funktion bereits im frühen Alter gefördert und trainiert. Wenn das Kind einen Hund ins Zimmer kommen sieht und „Hund" ruft, freuen sich die Eltern und sind stolz vor den Gästen: „Was für ein kluges Kind!" Wenn das Kind jedoch einen Hund ins Zimmer kommen sieht und „Katze" ruft, sind die Eltern vor den Gästen beschämt. Das Gedächtnis ist eine Gegebenheit des Lebens, die noch nicht als eine Gegebenheit des Lebens verstanden wird, die es dem Menschen ermöglicht, das Leben voll zu leben. Dies zu verstehen, bedeutet Freiheit.
Julian Capper, Großbritannien.

Anmerkung des deutschen Übersetzers:
Ein gutes Gedächtnis wird von Allen gewünscht, geschätzt und gelobt, weil es als Werkzeug des persönlichen Erfolgs gilt. Ohne Erinnerung gibt es kein Vergleichen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dadurch wird dem Verstand das logische Funktionieren im Alltag ermöglicht. Doch das Vergleichen wirkt sich auf die menschlichen Gefühle und Emotionen aus. Vergleichen führt oft zu Wehmut nach der „guten alten Zeit“ oder zur verzweifelten Hoffnung auf eine bessere Zukunft, manchmal aber auch zu vorübergehender Selbstzufriedenheit. Auch die Furcht vor der Zukunft basiert auf dem Gedächtnis. Kurz: Die Gebundenheit des Menschen ist abhängig von Erinnerung. Um mit dem Auf und Ab, das die Erinnerung im Verstand erzeugt, besser klarzukommen, wird uns geraten, unsere Erinnerung nur dann zu benutzen, wenn sie nützlich ist oder Freude macht, und sie bei gegenteiliger Wirkung auszublenden. Dass dies nicht immer möglich ist, beweist, dass keiner seine Erinnerung unter Kontrolle hat, wie Dr. Shankars Artikel „Gebundenheit“ offenbart, denn der Mensch hat die Erinnerung nicht gemacht und kann sie daher auch nicht verhindern, wenn sie geschieht. Befreiung von Erinnerung, die den Menschen in Gebundenheit hält, existiert als das zeitlose Hier und gedankenfreie Jetzt anstatt in der Kontrolle von Gedanken, die Erinnerungen sind.
Marcus Stegmaier, Deutschland.

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