Dr. Vijai S Shankar MD.PhD.
Published on www.academy-advaita.com
The Netherlands
16 juni 2016

Geschehen

„Wachsam und bewusst“ 

Der Mensch ist besorgt darüber, was im Leben geschehen sollte, denn er erwartet, dass Dinge im Leben geschehen. Wenn Dinge, von denen der Mensch erwartet, dass sie geschehen, nicht geschehen, glaubt er, etwas sei geschehen, was nicht hätte geschehen sollen. Daher ist der Mensch natürlich enttäuscht oder gestresst durch das, was nicht geschehen ist. 

Auf dieselbe Weise ist der Mensch genauso enttäuscht oder gestresst durch das, was geschehen ist, wenn das, was nicht hätte geschehen sollen, geschehen ist. Das ist psychologisch schwerer zu ertragen als das Nicht-Geschehen von Dingen, von denen er erwartet, dass sie geschehen, weil er sie weiterhin erwartet zu geschehen. Doch er erwartet nicht weiterhin, dass Dinge, die nicht geschehen sollen, geschehen werden.

Das ist das Dilemma des Menschen. Er kommt nicht damit klar, wenn das, was im Leben nicht geschehen sollte, doch geschieht, weil er fest daran glaubt, das geschehen ist, was im Leben nicht hätte geschehen sollen. Der Mensch muss verstehen, ob dies möglich ist. 

Der Mensch muss verstehen: Er ist sich dessen, was im Leben geschieht, nur bewusst, wenn es tatsächlich geschieht. Er weiß sicherlich, was im Leben geschehen könnte, doch er ist sich dessen nicht bewusst, bis es nicht tatsächlich geschehen ist. Der Grund dafür ist, dass der Mensch sich an das erinnert, was im Leben zuvor geschehen ist. 

Daher muss der Mensch verstehen: Es ist nicht nur wichtig sich dessen bewusst zu sein, was geschieht, sondern auch wachsam zu sein, wie es geschieht. Wäre der Mensch wachsam, würde er Folgendes verstehen: Erstens geschieht jeder Moment von selbst und man trägt nichts dazu bei, dass der Moment geschieht. Zweitens würde der Moment, wenn jeder Moment von selbst geschieht, das mit einschließen, was sich im Moment befindet. 

Es ist offensichtlich, dass der Mensch nicht das Geringste im Moment machen kann, weil der Moment vergangen wäre, um vom nächsten Moment ersetzt zu werden, bevor man in der Lage wäre, irgendetwas im Moment zu machen. 

Wäre der Mensch also wachsam, würde er verstehen: Im Moment geschieht immer irgendetwas und der Glaube, etwas wäre geschehen, was nicht geschehen hätte sollen, ist unmöglich.

Die Erleuchteten haben verkündet, es geschieht nur das, was bestimmt ist zu geschehen, und der Mensch ist nicht der Handelnde, Sprechende und Denkende. Dieses Verständnis ist Weisheit. Und wenn dieses Verständnis geschieht, ist es Gnade, dass es geschieht. Der Mensch versteht dann nicht nur, dass Enttäuschung und Stress illusionär und nicht real sind, sondern auch, dass das geschieht, was geschehen soll, und er es nicht veranlasst zu geschehen.

Der Mensch versteht, dass auch die Natur auf die Weise geschieht, wie es bestimmt ist, und die Natur nicht auf die Weise geschieht, wie der Mensch erwartet, dass sie geschehen sollte oder nicht geschehen sollte. Durch dieses Verständnis beginnt der Mensch mit dem Leben geduldig und mit Vertrauen zu fließen.

Autor: Dr. Vijai S. Shankar
© Copyright V. S. Shankar 2016

Anmerkung des Herausgebers:
Lebst du am Rande eines Abgrunds, eines mentalen Abgrunds? Liegst du nachts wach, beängstigt von dem, was morgen geschehen könnte, oder über das besorgt, was sich aus dem, was gestern vielleicht geschehen ist, ergeben könnte? Das Wort „geschehen“ gibt selbst den Hinweis. Es deutet an, dass es keinen Steuermann gibt, und es kann auch keinen geben, der steuert, was „geschieht“ oder „geschehen wird“ oder „geschehen ist“. Und doch wurde beinahe jeder von uns dazu konditioniert, die enorme Last auf sich zu nehmen, das, was „geschieht“ unter Kontrolle haben zu müssen. Indem sie das Dilemma des Menschen verstehen, bieten die Weisen das Geschenk dieses Artikels an – das Geschehen von Gnade selbst.
Julian Capper, Großbritannien. 

Anmerkung des deutschen Übersetzers:
Vertrauen und Geduld sind unmöglich, solange Misstrauen und Eile da sind. Wenn Misstrauen und Eile als illusionär verstanden wurden, herrschen Vertrauen und Geduld vor. Wir sollten darüber nachdenken, warum sie da sind. Der Artikel „Geschehen“ von Dr. Shankar gibt den entscheidenden Hinweis: Der Verstand hält das, was geschehen ist, was geschieht, und, was geschehen wird, für etwas Wirkliches und real. „Ist das etwa nicht so?“ magst du vielleicht fragen. Nun, hast du den Artikel bereits gelesen?
Marcus Stegmaier, Deutschland.

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