What ist Erleuchtung?, Herbst-Winter 1998

Ein Interview mit Dr. Vijai Shankar MD.PhD.


von Simeon Alev

 

 

Introduction

Dr. Vijai Shankar

 

Frage: Wir haben mit mehreren Personen über die Advaita-Vedanta-Lehre gesprochen, es sind aber noch viele Fragen offen geblieben, und das ist der Grund, warum wir mit Ihnen sprechen wollten.

 

Dr. Vijai S Shankar: Wie können Sie wissen, was die richtige Antwort ist?

 

F: Es ist nicht so, dass wir falsche Antworten bekommen hätten: es ist nur so, dass es gewisse Fragen gibt, die verschiedene Personen unterschiedlich beantworten.

 

VS: Jede Antwort ist auf ihre Art und Weise richtig, da es ganz auf den Standpunkt ankommt, von dem aus sie gegeben wird. Ich hätte gerne etwas Authentisches von Ihrer Seite gehört. Wenn Sie über Vedanta schreiben wollen, sollten Sie wissen, wonach Sie suchen. Wissen Sie, was Advaita ist?

 

F: Würden Sie es uns bitte sagen?

 

VS: Dann wissen Sie also nicht, wonach Sie suchen!

 

F: Nun ja, ich frage nicht nur für mich selbst. Ich frage im Namen von Tausenden von Lesern.

 

VS: Bitte missverstehen Sie mich nicht. Das, was ich Ihnen mitzuteilen versuche, ist: Wie können Sie wissen, ob sich die Antwort, die Sie erhalten werden, auf das Wort bezieht, nach dem Sie fragen, wenn Sie in Ihrem Verstand – oder in Ihrem so genannten Verstand – keine klare Vorstellung von der exakten Bedeutung des Wortes Advaita haben, davon, wofür das Wort steht? Sie sagen, in Ihrer Ausgabe geht es um ... Advaita, aber wissen Sie auch, wofür ... Advaita steht, was Advaita bedeutet? Sind Sie mit Advaita vertraut? Sie werden mir heute dazu Fragen stellen. Wenn das so ist, dann sollten Sie wissen, was Advaita bedeutet; ansonsten ist dieses Interview null und nichtig.

 

F: Also gut. So wie ich es verstehe, ist die Lehre von Advaita-Vedanta die Lehre des Nondualismus, die Lehre, das –

 

VS: Aber warum wird des „Nondualismus“ genannt? Gott ist eins, nicht wahr? Wenn Gott eins ist, und ich bin ganz sicher, dass die meisten Menschen dem ohne Diskussion zustimmen werden, warum nennen es die Weisen im Sanskrit dann nicht „Ekant“, was eins bedeutet, anstatt Advaita? Warum wurde das Wort Advaita gewählt? Hat sich darüber schon jemand Gedanken gemacht? Advaita heißt nicht zwei. Wenn Sie einmal darüber nachgedacht haben, dann brauchen Sie sonst nichts mehr zu wissen. Sobald Sie wissen, was Advaita bedeutet, sind Sie darüber hinausgegangen. Dann haben Sie den Verstand transzendiert. Warum haben die Weisen nicht „ein“ gesagt? Warum haben sie „nicht zwei“ gesagt? Sehen Sie, mein lieber Freund, ich will Sie gar nicht aufs Glatteis führen. Ich versuche vielmehr, Sie auf die richtige Spur zurückzubringen.

 

F: Danke

 

VS: Das sollte aber auch eine Wirkung auf Sie haben! Was nützt es, wenn Sie Informationen sammeln, Informationen, Informationen, Informationen und Zeitschriften drucken, wenn es keinerlei Auswirkungen auf Ihr Leben hat? Sie werden sterben und davongehen, mein Sohn, so wie wir alle. Der Körper wird verschwinden. Wozu also den Geist mit Wissen voll stopfen? Welche Wirkung hat das auf Sie? Sie sollten längst darüber hinaus sein! Das sollte das Ziel Ihres Lebens sein! Der einzige Sinn des Lebens besteht darin herauszufinden, wer man ist. Wenn Sie glauben, dass das Anhäufen all dieses Wissens Ihnen Erleuchtung bringen wird, dann vergessen Sie es!

 

Aber um auf den Punkt zurückzukommen, das Wort Advaita wird benutzt, um nicht zwei zu zeigen! Und das ist so, weil der Verstand sehr linear funktioniert – vom Punkt A zu den Punkten B, C, D, E, F und so weiter, auf einer geraden Linie – können Sie mir insoweit folgen? Sowie Sie „eins“ sagen, bedeutet das: es gibt zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht und so weiter und so fort. Sobald Sie „eins“ sagen bedeutet das, dass die Möglichkeit von zwei existiert. Eins hat nur in Bezug zu den anderen Zahlen eine Bedeutung; ansonsten hat sie keine. Und sobald Sie „eins“ sagen, hat sich bereits zwei eingeschlichen. Deshalb sagt man nicht „Ekant“. Man sagt „NICHT ZWEI!“ und NICHT ZWEI heißt was? Dass die Vielfalt verschwunden ist. Aber das kann nur in Form einer Verneinung ausgedrückt werden.

Und nun – wissen Sie, was „Vedanta“ heißt?

 

F: So wie ich es verstehe, ist Vedanta der abschließende Teil der alten Hinduschriften, die Veden heißen –

 

VS: Das ist schon wieder ein Irrtum. Das ist das Problem von uns allen – wir glauben einfach das, was man uns gesagt hat. Man hat das Geschriebene auf die eigene Art und Weise interpretiert, ohne genau darüber nachzudenken, was das Wort bedeutet. Und daher hat nie jemand etwas verstanden, egal, was der Meister gesagt hat, nicht einmal die, die ihm zugehört haben. Diese Leute haben ihn nicht wirklich gehört, haben ihm nicht wirklich zugehört. Sie haben ihn nur interpretiert. Niemand hat den Meistern zugehört, punktum – niemand. Niemand hat den Meistern zugehört, und auch Sie hören mir jetzt nicht zu. Wussten Sie das?

 

F: Dass ich Ihnen nicht zuhöre?

 

VS: Genau. Sie hören mir nicht zu, mein Freund. Vielleicht haben Sie den Eindruck, Sie würden es tun, aber es ist nicht so. Wir alle haben die ganze Zeit gedacht, wir würden zuhören. Nein, nichts dergleichen. Wissen Sie, was Zuhören heißt? Ich bin sicher, Sie wissen es nicht. Die Menschen hören nie zu. Man blickt nur durch die Brille der eigenen Konzepte. Ich möchte Sie jetzt nicht erschrecken, aber vielleicht gehen Sie nach diesem Gespräch fort und wissen weniger, als Sie vorher wussten. Deshalb sollte man sich immer bewusst sein, in wessen Nähe man sich begibt, bevor man überhaupt das Risiko eingeht, mit ihm zu sprechen. Am Ende wird dieses Interview Ihr Ego sehr wahrscheinlich in kleine Stücke zerlegt haben, und wenn das so ist, wird das für Sie von größerem Nutzen sein. Sie werden weit mehr gewonnen als verloren haben. Bisher haben Sie die ganze Zeit nur verloren. Aber Ihr Karma ist so, dass für Sie die Zeit gekommen ist, eine Wirkung stattfinden zu lassen. Sie sollten wirklich erkennen, wer Sie sind. Dafür ist alles die Mühe wert.

 

Jedenfalls beruht Ihre Vorstellung von Vedanta ebenfalls auf den Dingen, die man Ihnen dazu gesagt hat. Aber die Veden sind nichts anderes als Gebete zu Gott – nichts als das, nur die Verherrlichung Gottes in vielen Formen, Farben und symbolischen Gesten. Und das alles sind nur Hinweise auf das letztendliche Eine, und das sind Sie. Und Vedanta heißt also „das Ende der Veden“. Anta heißt „Ende“, okay? Und das Ende der Veden kam durch die Upanishade. „Upanishad“ heißt nicht „Fortsetzung“ der Veden – nein, dies liegt auf einer ganz anderen Linie: Die Veden fordern zur Entsagung auf und die Upanishaden zur Freude. Deshalb kann es keine Fortsetzung geben. Wie dem auch sei, was wollen Sie sonst noch wissen?

 

„Wissen wollen“ – das ist seltsam! Ich bin wirklich erstaunt darüber, wie die Menschen immer wissen und wissen und wissen wollen. Und für wie lange – bis sie sterben? Hören Sie damit auf, all den Staub und Schmutz im Verstand anzusammeln. Wozu? Haben die Menschen nicht diese ganze Generation hindurch über die Veden und Advaita gehört? Wie lange werden Sie noch darüber lesen? Wie lange werden Sie Ihre Zeitschrift drucken? Sie werden sterben und davongehen! Jeder wird sterben und davongehen! Wozu dient es? Oh ja, ... vermutlich bringt es Essen auf den Tisch.

 

F: Nun, zumindest werden diejenigen, die das lesen, Ihre Aufforderung hören, dass sie aufhören sollen, verstehen zu wollen, und so weiter.

 

VS: Das kann ich nur wünschen – aber noch einmal, sie werden nicht lesen, sie werden nicht hören. Glauben Sie, sie hören zu? Nein. Das Einzige, was sie tun, ist mit ihrem eigenen Verständnis an die Worte heranzugehen, und deshalb werden sie letztlich nur in dem Verständnis, das sie ihren Konzepten zufolge bereits haben, bestärkt werden, wenn sie denken, dass das, was sie gehört haben, richtig ist. Also können sie vielleicht denken, dass sie zugehört haben, aber sie haben nicht zugehört – sie haben nur ihre eigene Konditionierung verstärkt. Verstehen Sie, was ich sage?

 

F: Ich glaube schon.

 

VS: Sie glauben es! Ich hoffe es. Aber Ihr Verstehen beruht lediglich auf Ihren eigenen Wünschen und Ängsten, Ihren eigenen Fantasien, den eigenen Einstellungen dem Leben gegenüber. Das Wort „Einstellung“ beschreibt etwas Fragmentarisches, eine Unterscheidung, die nur aus dem Verstand kommt. Aber das Leben ist keine Einstellung, und das Leben kann nicht zerlegt werden, um einer Einstellung zu genügen, denn es übersteigt den Verstand. Wenn sich Ihr Verständnis nach Ihrem eigenen Konzept, nach Ihren eigenen Einstellung richtet, dann sind Sie vom Leben abgeschnitten – können Sie mir folgen? Wenn Sie daher nur über bestimmte Worte reflektieren, darüber, was die Weisen damit meinten, dann ist das in Ordnung. Reflektieren Sie über Advaita, reflektieren Sie über Vedanta: Warum wurde das Wort Advaita gewählt? Was bedeutet es? Ich spreche über Kontemplation, nicht über Nachdenken. Es besteht ein Unterschied zwischen Denken und Kontemplation. Was, glauben Sie, ist der Unterschied? Was ist der Unterschied zwischen Denken –

 

F: Die Sache ist – Dr. Shankar?

 

VS: Ja?

 

F: Ich würde Ihnen gerne in einem langen Gespräch alle meine Gedanken darlegen –

 

VS: Wundervoll!

 

F: Aber für dieses Interview, sehen Sie, ist unsere Zeit leider begrenzt –

 

VS: Oh ja, wir sind in Raum und Zeit – das ist unser Problem!

 

F: Ja. Genau.

 

VS: Es wird für Sie gar nicht leicht werden, mein Sohn. Sie sind nicht gekommen, um mit einem Verstand zu sprechen. Sie tun, was Sie können, um mit dem zu sprechen, was darüber hinausgeht. Kann der Verstand mit dem sprechen, was über ihn hinausgeht?

 

F: Lassen Sie es uns doch herausfinden.

 

VS: Nein, das geht nicht. Bis jetzt haben Sie es nicht geschafft. Sie sprechen in Begriffen von Zeit und Raum, und es bleibt nichts mehr übrig.

 

F: Also, Dr. Shankar, das ist meine nächste Frage zu dem, was darüber hinausgeht –

 

VS: Nun, dann stellen Sie sie! Es gibt keine Antworten darauf, mein Sohn.

 

F: Meine Frage ist: In der Advaita-Lehre hören wir oft, dass die Welt eine Illusion ist. Und ich hätte gerne von Ihnen erfahren, was das bedeutet.

 

VS: Gut. Sehen Sie, unser Problem ist, dass wir denken, dass es außerhalb von uns eine Welt gibt, und dass wir in dieser Welt leben. Aber das ist nicht so. Sie sind nicht in der Welt; die Welt ist in Ihnen. Haben Sie das nicht erkannt – schon wenn Sie am Morgen die Augen öffnen, taucht die Welt auf, und wenn Sie am Abend schlafen gehen, verschwindet sie – haben Sie erkannt, dass Sie, wenn Sie schlafen, trotzdem existieren? Und dass es derselbe ist, der im Schlaf existiert, der auch im Wachzustand existiert? Wenn die Welt also während der Nacht zu verschwinden scheint, und wenn man in der Tat zu existieren fortfährt und die Welt dies scheinbar nicht mehr tut, dann kann das nichts anderes bedeuten, als dass der, der du dir am Morgen zu sein einbildest, eine Illusion ist!

 

Oder so. Wenn man in den Spiegel schaut, sieht man doch nur ein Gesicht, oder nicht? Man hat nicht den Eindruck, dass man zwei Gesichter sieht, eines im Spiegel und eines außerhalb des Spiegels. Man ist so völlig von seiner eigenen Reflexion in Anspruch genommen, die man für sich selbst hält, dass man sich in diesem Moment von seinem eigenen wirklichen Gesicht löst, das man nicht sehen kann. Wenn man aber nach dem Rasieren ein bisschen Blut auf dem Gesicht hat, und wenn man das Blut auf dem Spiegelbild sieht, dann greift man nicht zum Spiegelbild, man greift sich ans Gesicht, oder nicht? In ähnlicher Weise reflektiert das Atman (das Selbst) die gesamte Welt durch den Spiegel der Erkenntnis. Das Problem ist, dass sich das „Ich“ dazwischen schiebt, mit dem Spiegelbild des Realen in Berührung kommt und dass man sich darin verfängt. Es ist so, als wollte man das Blut vom Spiegel wegwischen. Kann man das?

 

F: Nein, natürlich nicht.

 

VS: Aber genau das versuchen die Menschen, verstehen Sie?

 

F: Ja, Das, was Sie sagen, ist sehr klar.

 

VS: Ah, das freut mich für Sie! Wenn Sie nach diesem Interview bereichert weggehen, bin ich glücklich. Es wäre mir auch egal, wenn Sie gar nichts in Ihrer Zeitschrift drucken würden, das ist ja doch nur schwarze Tinte auf weißem Papier. Wenn jemand in der Lage ist, nur die weiße Seite in Ihrer Zeitschrift zu lesen, dann bin ich glücklich. Nicht den schwarzen Druck, denn das ist ja doch nur eine Reflexion aus dem „Ich“ des Lesers.

 

Das wird also Illusion genannt, und die Welt ist eine pure Illusion. Sie müssen verstehen, dass Sie Ihre eigene Welt reflektieren, Ihre eigene Welt sehen. Aber das ist einfach das Problem, das auftritt, wenn wir uns nicht für andere Seinszustände interessieren, wenn wir uns nur um unseren Wachzustand Gedanken machen und nicht um Tiefschlaf- und Traumzustand. Wir existieren in allen drei Zuständen, aber wir kümmern uns nur um einen einzigen. Das ist das Elend des Menschen. Aber in dem Moment, in dem der Mensch Zeuge aller drei Seinszustände wird, wird er verstehen, dass die Welt nichts als pure Illusion ist.

 

F: Einige Gelehrte, mit denen wir gesprochen haben, sind der Ansicht, dass Advaita „eine ihr innewohnende Ablehnung gegenüber der Welt!“ hat, weil sie den Begriff von der Welt als Illusion unterstreicht, und dass als Ergebnis davon die letztendliche Verwirklichung in der Advaita oft mit einer Weltflucht gleichgesetzt wird. Wenn möglich, würde ich daher sehr gerne besser verstehen, wie sich die Verwirklichung, die Sie eben beschrieben haben, in der Beziehung eines Menschen zur Welt von Raum und Zeit ausdrückt.

 

VS: Gut. Der erste Punkt ist, dass es keine Menschen gibt. Das muss erst einmal klar sein. Sie sind ein spirituelles Wesen mit der Erfahrung eines Menschen. Sehen Sie sich nicht als ein menschliches Wesen, das einer spirituellen Erfahrung bedarf. Auch das ist eine Illusion.

 

Nun sprechen die Menschen von „Weltflucht“, aber worum geht es denn? Haben sie nicht verstanden, dass die Welt eine Illusion ist? Was soll’s also? Wenn es eine Illusion ist, wem sollte man dann entsagen? Wie kann man einer Illusion entsagen? Dummheit! Absoluter Unsinn! Illusion? Wo ist das Problem? Diese Illusion ist für sie da, damit sie sich an ihr erfreuen. Haben Sie mich bisher nicht klar verstanden? Stellen Sie sich vor, Sie selbst oder jemand anders versucht zu flüchten – wohin eigentlich? Auch in einer Höhle werden Tausende und Abertausende von Gedanken den Verstand bombardieren. Man entflieht nie.

 

Passen Sie auf. Wenn Sie ins Museum gehen, sehen Sie dort vielleicht ein riesiges Gemälde, das, sagen wir, eine alte Frau darstellt, eine ausgezehrte alte Frau in Fetzen, absolut Haut und Knochen mit kaum einem Krümel Essen auf ihrem Teller, und ein abgemagertes Baby neben ihr und ein großer sterbender Hund. Vielleicht verhungern auch gerade einige Kühe daneben, die Bäume sind dürr, die Erde ist ausgedörrt und alles scheint hier total widerwärtig. Aber da steht dann ein Mann vor diesem Bild und sagt: „Ein Meisterwerk!“ Sagt er das oder nicht?

 

F: Ja, das nehme ich an.

 

VS: Und da ist vielleicht auch ein Blutender mit einem gebrochenen Bein und der Mann sagt noch immer: „Ein Meisterwerk!“ Er wird nie sagen: „Oh, diese Frau tut mir so leid, ich hole jetzt eine Pizza und gebe sie ihr zu essen. Dieser Mann blutet, ich bringe ihn ins Krankenhaus. Der Hund stirbt, ich bringe ihn in die Tierklinik oder zum Tierarzt oder wo auch immer hin.“ Nein – er sagt: „Es ist ein Meisterwerk!“ In derselben Weise hat Gott dieses ganze, sich ständig verändernde Panoramabild gemalt, das nie konstant ist, sondern ständig weiter und weiter geht. Er hat Sein Meisterwerk nie vollendet, aber Er ist zu jeder Zeit in jedem, der sich daran erfreut und es genießt, denn es ist ja nur ein Gemälde. Der Umstand, dass man selbst in diesem Gemälde mitwirken will und es für real hält, ist das Problem, das so viel Leid für jeden Einzelnen und für alle entstehen lässt. Verstehen Sie?

 

F: Nun, ja. Ich verstehe, was Sie sagen –

 

VS: Gut für Sie. Es gibt also nichts, dem entsagt werden müsste, und nichts ist zu tun. Seinen Sie einfach Sie selbst und finden Sie heraus, wer Sie sind. Das ist das Ende jeden Problems auf der Welt. Wissen Sie, es gibt keine Probleme im Leben – das einzige Problem ist das Denken. Das Leben ist kein Problem: das Leben ist ein Mysterium. Das Leben ist Musik. Das Leben ist Tanz. Durch dieses Mysterium lebt diese Musik und lebt dieser Tanz. Erfreuen Sie sich an Shivas kosmischem Tanz! Das ist Advaita für Sie! In dem Moment, wo Sie zur Musik werden, wo Sie zum Tanz werden, in dem Moment, in dem Sie das Fließen des Wassers werden, die Festigkeit des Felsens, der Duft der Blume, in dem Augenblick, in dem Sie das Blühen der Blume werden, sind Sie Advaita. Können Sie mir folgen? Aber angenommen, Sie sehen eine schöne Blume, und wenn Sie plötzlich ein Gefühl von Schönheit in sich spüren, sagen Sie: „Eine schöne Blume!“ Was ist da geschehen? Können Sie mir das sagen?

 

F: Nun, einerseits scheint es etwas Schönes zu sein. man findet Gefallen an etwas –

 

VS: Und das ist Ihr Problem! In dem Moment, in dem man ein Wort sagt, kommen die Dinge zum Stillstand, und Sie sind in Ihre Vergangenheit eingetaucht. Wir führen ein totes Leben, das nur aus Bildern aus der Vergangenheit besteht und nicht aus dem Leben, so wie es direkt vor uns in seiner Herrlichkeit erblüht. Das entgeht uns. Wir sind immer in der Vergangenheit. Wir schütteln in jeder Minute einer Leiche die Hand. Wir denken, wir leben das Leben, aber es ist nicht so. Die Schönheit in der Blume ist Gott, sehen Sie? Gott ist keine Person; Gott ist eine Präsenz. Gott ist die Göttlichkeit, die nur jetzt, in diesem Augenblick JETZT da ist – nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft. Der Augenblick, in dem man im Verstand ist, ist nicht Advaita. Aber der Augenblick, in dem man nur in einem-Augenblick-zum-nächsten ist, das ist Advaita.

 

F: Manche Advaita-Lehrer sagen, dass ein Mensch, der das Selbst verwirklicht hat, über weltliche Unterscheidungen wie gut und böse oder richtig und falsch hinausgegangen sei und dass ein solcher Mensch in der Tat niemandem Rechenschaft abzulegen habe. Einer dieser Lehrer ging so weit zu sagen, dass ein solcher Mensch nicht einmal Gott gegenüber Rechenschaft abzulegen hätte. Was sagen Sie dazu?

 

VS: Schon wieder lauter falsche Konzepte! Niemand kann ein „Advaita-Lehrer“ sein. In dem Moment, in dem ein Lehrer kommt, heißt das, dass da ein Schüler ist. Das ist in keiner Weise Advaita, Punkt eins. In dem Moment, in dem er sagt, er ist ein Lehrer, laufen Sie rasch weg! Verstehen Sie, was ich sage?

 

F: Was den Lehrer betrifft, ja.

 

VS: Und was war der andere Punkt, den Sie erwähnten?

 

F: Dass ein selbstverwirklichtes Individuum –

 

VS: „Ein selbstverwirklichtes Individuum“ – wenn er selbstverwirklicht ist, wie kann er dann ein Individuum geblieben sein? Das ist ganz und gar abwegig! Adavaita heißt: aufzuhören, dieselben alten Worte weiter zu verwenden und nicht zu wissen, was sie bedeuten. „Das selbstverwirklichte Individuum“ – das ist falsch. Gut, ist auch egal. Um des Interviews willen, okay. Was sagt er also?

 

F: Dass sie niemandem Rechenschaft abzulegen haben – dass sie über Unterscheidungen wie gut und böse oder richtig und falsch hinausgegangen seien und dass sie nicht einmal Gott Rechenschaft abzulegen bräuchten.

 

VS: Genau. „Gut“ oder „böse“ gibt es nicht. Das sind nichts als nur Ihre geistigen Konzepte. Nur deshalb, weil Sie denken, Sie seien ein Mensch und Gott sei anderswo, meinen Sie, Sie seien Gott Rechenschaft schuldig. Glauben Sie, Gott ist ein Jurist? Glauben Sie, Gott ist ein Voyeur? Glauben Sie, Gott ist ein Diktator, der darauf wartet, Sie zu bestrafen? Und dann sagen Sie: „Gott ist überall“. Wenn Gott überall ist, wer sind Sie dann? Weil Sie glauben, Sie seien ein Mensch, der spirituelle Erfahrungen braucht, verstricken Sie sich in den Konzepten von gut und böse und oben und unten und links und rechts und innen und außen. Aber nichts davon gibt es, auch ohne Verwirklichung. Wenn Sie glauben, Sie müssten Gott Rechenschaft ablegen, wer sind Sie dann? Sind Sie von Gott getrennt? Das heißt dann, Gott ist nicht überall. Vergessen Sie es! Sagen Sie niemals: „Gott ist überall“. In dem Moment, in dem Sie sagen: „Gott ist überall“, existieren Sie nicht mehr. Natürlich existieren Sie nicht. Gott ist überall. Sie haben Ihr wahres Wesen vergessen, und weil Sie Ihr wahres Wesen vergessen haben, sagen Sie, Sie müssen Gott Rechenschaft ablegen. Aber in dem Moment, in dem Sie Gott erkennen, gibt es Sie nicht mehr, wem sollten Sie also Rechenschaft ablegen?

 

Ein Selbstverwirklichter, der den Verstand transzendiert hat, ist eben keine Rechenschaft schuldig. Warum? Weil er Gott ist. Wie kann Gott sich selbst Rechenschaft ablegen müssen? Es gibt nichts, das Sünde heißt, es gibt nichts, das Gier heißt – wie können diese Dinge in einem Gemälde existieren? Jemand geht ins Museum und sagt: „Dieses Gemälde ist nicht gut. Dieses Bild ist sehr gut“ Sie hingegen meinen, er irrt sich: dieses ist gut, das andere ist schlecht. Was ist es nun? Es ist das eigene Konzept, die eigene Einstellung, das eigene geistige Kolorit. Okay., gut für Sie. Lassen Sie das jetzt alles sein und gehen Sie über den Verstand hinaus. Dann werden Sie Gott erkennen. Dann werden Sie wissen, was „Selbstverwirklichung“ bedeutet.

 

Wissen Sie, was Selbstverwirklichung heißt? .... Was ist also Erleuchtung? Sie wissen nicht einmal, was es ist, und drucken es. Fantastisch! Wunderbar! Blinde führen Blinde. „Geht alle weiter, weiter, weiter; kommt zum Abgrund und genießt den Sturz.“ So ist das. „Erleuchtet“ heißt, wirklich zu erkennen, dass es nichts gibt, was Unwissenheit heißt, okay? Kauen Sie mal daran. An diesem einen Wort. Wenn Sie es gut durchkauen, werden Sie aufhören, irgendwelche Interviews mit irgendwelchen Leuten zu machen. Sie werden es werden. Sie werden über den Verstand hinausgehen. Wissen Sie, dass es nichts gibt, das Unwissenheit heißt? Wissen Sie, was Unwissenheit ist? Okay, vergessen Sie es. Ich will ja nicht, dass ihr Interview ein Flop wird. Ich will nicht, dass Sie Ihren Job verlieren.

 

F: Ist das Verstehen, das es so etwas wie Unwissenheit nicht gibt, tatsächlich dasselbe, wie voll selbstverwirklicht zu sein – oder steckt da noch mehr dahinter?

 

VS: Sehen Sie, es ist so: Sie haben Ihr wahres Wesen vergessen, okay? Und Sie brauchen sich nur auf ihr wahres Wesen zu besinnen – mehr brauchen Sie nicht zu tun. Aber die Methode, um das zu tun, besteht nicht darin, zu versuchen, sich ständig daran zu erinnern, denn das ist dann erneut nichts anderes als ein weiteres mentales Konzept. Nein, Sie können Ihr wahres Wesen nur dadurch erkennen, dass Sie all das verneinen, von dem Sie glauben, dass Sie es sind, und in dem Augenblick, in dem Sie alles verneinen, von dem Sie glauben, dass Sie es sind, oder von dem man Ihnen gesagt hat, dass Sie es sind, werden Sie bei dem ankommen, was Sie wirklich sind. Und in dem Augenblick, in dem Sie zu dem Wissen gelangen, wer Sie sind, kommen Sie in einen Zustand, in dem Sie nie wieder ein Wort sagen werden.

 

F: Wie bitte?

 

VS: In dem Augenblick, in dem Sie alles vollständig verneint haben, gelangen Sie in einen Zustand, in dem Sie niemals darüber sprechen werden, niemals sagen werden, dass Sie verwirklicht sind, oder dieses oder jenes der etwas anderes. Wenn eine Glühbirne brennt, spricht sie dann von der Dunkelheit? Weiß die Sonne, wenn sie scheint, von ihren eigenen Strahlen? Wenn die Blume blüht, kennt sie ihren eigenen Duft? Kann die Zunge ihren eigenen Geschmack erkennten? Kann sich ein Auge selbst sehen? Kann sich ein Messer selbst schneiden? Kann sich ein Dieb, der vor der Polizei wegläuft, in einen Polizisten verwandeln und selbst fangen? So ist das. Kapiert? Da sind wir an einem wundervollen Punkt angelangt. Jetzt macht mir das Ganze Spaß.

 

F: Aber wenn Sie nicht darüber sprechen, wie helfen Sie dann anderen dabei, das zu verwirklichen, was Sie verwirklicht haben?

 

VS: Was habe ich verwirklicht? Ich weiß es nicht. Es ist ein großartiger Scherz. Oh wunderbares Leben, ich danke dir dafür, dass du mich zum Lachen bringst. Ich weiß nicht, wozu die Menschen hierher kommen. Ich lehre sie nichts, kommt gar nicht in Frage! Ich lehre sie nie etwas. Wer sollte lehren? Was sollte gelehrt werden? Es gibt nichts zu lehren, mein Freund. Was sollen Sie über eine Illusion lehren? Du meine Güte, das ist so ein törichter Unsinn. Ich weiß nicht, warum die Menschen immer so weitermachen. Gestern habe ich ein sehr nettes sieben Seiten langes Fax von einem sehr vornehmen Herrn bekommen, der einige Zeit in der Nähe dieses Körpers verbracht hat. „In Vijais Gegenwart zu sitzen ist eine einzigartige Erfahrung“ – das sagt er jedenfalls. „Er stellt nie Anforderungen an seine Zuhörer, und deshalb ist die natürliche Reaktion auf ihn völlige Offenheit, ein Zustand, der viele Menschen erstaunt, wenn sie ihn entdecken. Mit Vijai verflüchtigt sich in dieser Arena der Einheit die Dualität und macht einer allmählichen Vereinigung Platz. Seine Methode ist eine Art von Basis-Spiritualität; ohne Rücksicht auf Fragen, die ihm gestellt werden, bringt er den Fragenden zu diesem einen wahren, wonnevollen Zustand zurück, in dem sich Menschen glücklich fühlen.“ Sie sehen also, es geschieht ganz einfach. Ich tue nichts. Gar nichts.

 

F: Und was geschieht?

 

VS: Das weiß ich nicht. Sie sagen, sie fühlen sich glücklich. Alle gehen ins Kino, um Spannung zu erleben, nicht wahr? Wahrscheinlich kommen die Menschen also hierher, um sich glücklich zu fühlen. Warum möchten Sie glücklich sein? Können Sie mir das sagen? Weil Glück Ihre wahre Natur ist. Aber der Ort, an dem Sie es suchen, ist nicht der richtige. Es ist nicht da draußen, es ist in Ihnen. Also suchen die Menschen wahrscheinlich in ihrem eigenen Inneren, wenn sie hierher kommen. Aber ich weiß nicht, was geschieht. Sie stellen mir einige weltliche Fragen, so wie Sie gerade, und ich stelle nur ihren Kompass richtig ein, das ist alles.

 

F: Vielen Dank. Eine letzte Frage?

 

VS: Gibt es so etwas wie eine letzte Frage? Wenn Sie sagen, es ist die letzte, dann dürfen Sie in Ihrem ganzen Leben keine Fragen mehr stellen. Okay, bitte schön!

 

F: Gibt es irgendwelche Handlungen, von denen wir mit Sicherheit sagen könnten, dass sie ein verwirklichter Mensch nicht ausführen würde? Gewalt zum Beispiel, Töten, Unehrenhaftigkeit oder eine Handlung, die einem anderen Menschen Schaden zufügt?

 

VS: Hören Sie zu. Gibt es Unehrenhaftigkeit? Gibt es tatsächlich ein Töten? Gibt es tatsächlich ein Verbrechen? Denken Sie darüber nach. Überlegen Sie es sich gut, bevor Sie überhaupt so etwas sagen. Wie könnte der Verstand jemals den erkennen, der ihn transzendiert hat? Wie könnte er es? Es ist nur eine Ausdehnung des Begrenzten ins Unbegrenzte. Das Einzige, was man also von ihm sagen kann, ist, dass er unberechenbar sein wird. Man kann ihn nicht vorausberechnen, denn erschwebt im Jetzt.

 

F: Halten Sie es dann für möglich, dass ein solches Individuum, das derart unberechenbar ist, in der Tat eine Handlung ausführen könnte, die –

 

VS: Für Sie ist es eine Handlung. Für ihn ist es das nicht. Hier irren Sie. Es gibt keine äußeren Handlungen, mein Freund. Es scheint Ihnen nur so. Sie hängen daran. Sie glauben es geschieht dort. Sie glauben, er tut es. Kümmern wir uns gar nicht darum. Alles geschieht einfach. Alles ist, wie es ist. Es ist nur dieses Gemälde und es wird weitergehen. Sie werden glauben, dass da draußen etwas passiert – etwas Böses, eine Sünde, eine Gewalttat, aber das ist Ihr Problem Die Bhagavad Gita sagt: „Alles, was geschieht, geschieht zum Besten. Das, was geschehen ist, ist ebenfalls gut. Das, was geschehen wird, ist ebenfalls gut. Sie sind nicht der Handelnde. Der Herr ist der Handelnde. Er beobachtet alles“. Das ist das Leben. Das Leben ist ein Mysterium: Lebe es, interpretiere es nicht. In dem Moment, in dem man es interpretiert, geht man fehl. Es ist um Himmels willen nichts anderes als Gott, der sich überall manifestiert! Er amüsiert sich nur. Ich werde Ihnen etwas sagen: Möchten Sie Gott zum Lachen bringen?

 

F: Klar. Ich habe das Gefühl, das haben wir ohnehin die ganze letzte Stunde getan.

 

VS: Wissen Sie was? Wenn Sie Ihm von Ihren Plänen erzählen, dann lacht Gott. Erzählen Sie Gott von Ihren Plänen, und er wird sich köstlich amüsieren.

 

Denken wir also nicht. Lassen Sie uns im Hier und Jetzt sein. Das genügt. Das ist absolut ausreichend. Sie sind ein spirituelles Wesen mit der Erfahrung eines Menschen. Hören Sie jetzt damit auf, mein Sohn. Hören Sie jetzt damit auf und alles wird für Sie in Ordnung sein. Ich würde Sie so gerne in einem anderen Zustand sehen, in Ihrem wahren Zustand, wenn wir uns das nächste Mal begegnen. Das wäre schön. Es gibt nichts, zu dem Sie eines Tages werden. Wenn Sie zu etwas werden sollten, wird das das Ende sein – der Tod. Jeder wird der werden, der er ist. Was ist das Problem dabei? Ich sehe kein Problem

Hören Sie – eins noch. Haben Sie Spaß gehabt?

 

F: Ja, sehr sogar.

 

VS: Das ist sehr wichtig. Ich sage Ihnen etwas: Werfen Sie doch das ganze Interview in den Papierkorb! Was gibt es Wichtigeres als Spaß zu haben? Denken Sie über dieses Vergnügen nach. Stellen Sie sich diesem Vergnügen. Seien Sie in diesem Vergnügen. Das wird Ihnen mehr nützen.

 

 

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