Dr. Vijai S Shankar MD.PhD.

Published on www.acadun.com

The Netherlands

30th Oktober 2013

 

 

Jenseits des Verstandes

 

Begrenzungen existieren nicht für ein junges Kind oder einen Weisen. Da gibt es kein Darüberhinaus. Wenn das Kind allerdings wächst und sich entwickelt, dringt die Idee von „mein“ und „Meins“ in den Verstand der jungen Person ein. Schrittweise wir seine oder ihre getrennte Welt aufgebaut. In dieser Welt tauchen Wünsche und Begierden auf, die sich, begleitet von Hoffnungen und Ängsten, vervielfältigen. Hilfe ist in Reichweite, wenn sie gesucht wird, oder selbst dann, wenn nicht, in Form von religiöser oder spiritueller Anleitung. Es besteht das Angebot einer Einladung, der Anleitung zu folgen oder sogar ein Anhänger zu werden. Daraufhin, nachdem man sich für bestimmte Überzeugungen und Praktiken eingesetzt hat, teilt der Mensch seine Welt in Gläubige und Ungläubige ein, diese Gruppe und jene Gruppe. Mentale und physische Begrenzungen bilden und kristallisieren sich heraus, so sicher wie die Nacht auf den Tag folgt.

 

Ganz abgesehen von diesen Trennungen gibt es tiefgreifende soziale Streitpunkte, die zwischen Gemeinschaften und selbst Familien Trennung erzeugen. Da wundert es wenig, dass sich der Mensch, in diesem Sog der Überzeugungen und widersprechenden Überzeugungen, zu einer Realität aufmacht, die sich jenseits davon befindet – jenseits des Verstandes. Man glaubt, dass die verschiedenen Beschreibungen der Realität, wie „Glückseligkeit“, „Gewahrsein“ und „Seele“ jenseits des Verstandes existieren. Dies ist eine populäre Überzeugung, die man als Wahrheit anerkennt. Man sucht nach jedem zur Überschreitung des Verstandes verfügbaren Weg, egal ob hoch oder niedrig, nah oder fern.

 

Je populärer der Weg ist, desto attraktiver wird er für den Menschen und sein Ego, weil das Ego immer das liebt, was am populärsten ist und dem die meisten folgen. Dem Menschen stehen viele Wege zur Verfügung in jeder „Religion“ oder jedem Konzept von Spiritualität, das es gibt. Das Ego fühlt sich dazu hingezogen, weil es sich nach „Glückseligkeit“ sehnt. Viele getreue spirituelle und religiöse Anhänger propagieren, dass die vom Menschen gesuchte Glückseligkeit jenseits des Verstandes liegt. Sie ermutigen den Menschen, populäre spirituelle Praktiken zu praktizieren, sich strengen Regeln einer bestimmten Religion zu unterwerfen und in sich zu gehen. Die Einkaufsliste für Spiritualität, um jenseits des Verstandes zu gehen, ist lang und der heutige Mensch liebt es einzukaufen.

 

Je komplizierter das System, das man zum Überschreiten des Verstandes benötigt, desto größer die Herausforderung für das Ego und das Ego liebt Herausforderungen. Man investiert das Leben in solche Programme ohne Widerkehr, bis zu dem Tag, an dem man abtritt. Um den Verstand zu überschreiten oder in sich zu gehen, um dies zu bewerkstelligen, steht nur das Ego zu Verfügung. Doch das Ego ist falsch und muss zerstört werden, um den Verstand zu überschreiten oder um in sich zu gehen. Dieser Glaube wird wiederum von allen akzeptiert, die sich zur Überschreitung des Verstandes aufmachen.

 

Doch was ist jenseits des Verstandes? Ist es die Vergangenheit, die Gegenwart oder die Zukunft? Die Gegenwart kann es nicht sein, denn der Mensch findet „Glückseligkeit“ nicht in der Gegenwart. Kann es die Vergangenheit sein? Das ist einfach unmöglich, denn der Mensch weiß, dass die Vergangenheit tot ist, und daher wäre es auch die Glückseligkeit. Es kann auch nicht die Zukunft sein, denn die Zukunft ist nichts als eine eingebildete und modifizierte Vergangenheit!

 

Wo ist nun der Verstand? Ist sich der Mensch darüber im Klaren, wo sein Verstand ist? Er nimmt einfach nur an, dass sich der Verstand in der Gegenwart befindet. Doch, was ist die Gegenwart? Hat der Mensch definiert, was die Gegenwart ist? Nein, er war bislang noch nicht zu einer Definition in der Lage, mit der die Gegenwart zweifelsfrei bestimmt werden könnte. Die Gegenwart ist für den Menschen die Zeit, die auf einer Armbanduhr oder auf einer Uhr an der Wand abzulesen ist. Zeit kann die Gegenwart nicht sein, denn der Mensch kann einen Moment oder Zeit im Leben nicht sehen. Die Gegenwart ist der Moment „Jetzt“, der keine Zeitdauer enthält. Der Verstand ist niemals in der Gegenwart, weil er sich immer in der phantasierten Vergangenheit oder Zukunft befindet. Die Wissenschaft informiert uns, dass die kleinste Zeiteinheit, durch welche die Gegenwart repräsentiert werden kann, eine Atto-Sekunde ist, also ein Milliardstel einer milliardstel Sekunde. Diese Zeiteinheit ist für den Verstand nicht wahrnehmbar. Eine Atto-Sekunde ist nicht genug Zeit, um irgendeine Handlung zu vollbringen, und daher ist es einfach unmöglich, den Verstand zu überschreiten.

 

Den Moment, der sich in der Vergangenheit oder in der Zukunft befindet, kann man niemals sehen. Ebensowenig kann man den gegenwärtigen Moment sehen, da es keine Trennlinie zwischen einem Moment und dem nächsten gibt. Daher ist der Moment, der „ist“, die Gegenwart. Der ewige Moment erscheint dem Verstand als viele Momente und Zeit wird erschaffen in Form eines Gedankens, der nicht real ist, weil ein Gedanke eine auditive Illusion aus Ton ist und nichts Wirkliches.

 

Der Verstand ist nicht in dem Moment, der „ist“, weil der Moment, der „ist“, im zeitlosen „Jetzt“ fließt. Daher kann der Mensch den Verstand nicht überschreiten, indem er den Verstand oder das Ego benutzt. Er befände sich einfach nur im Verstand, während er versucht, ihn zu überschreiten. Der Mensch muss verstehen, dass sich jenseits des Verstandes nicht „Glückseligkeit“, „Gewahrsein“, „Seele“ oder Spiritualität befinden, sondern der Moment, in dem er lebendig ist. Der Moment, in dem der Mensch lebendig ist, ist allerdings dem Verstand voraus und der Verstand ist nicht im Moment, der „ist“. Voraus ist nicht die Zukunft, sondern der Moment, der „ist“.

 

Der Moment, der „ist“, projiziert optische und auditive Illusionen des Lebens und Zeit. Diese Illusionen erscheinen dem Verstand real und der Verstand versucht ihnen zu entkommen, indem er versucht, den Verstand zu überschreiten, weil er glaubt, dass dort „Glückseligkeit“ anzutreffen wäre. Der Mensch muss verstehen, dass „Glückseligkeit“ der Moment ist, der „ist“, und der Verstand ihn niemals erreichen kann. „Glückseligkeit“ ist der Moment, der „ist“. Der Moment, der „ist“, ist die spirituelle Endstation, die der Mensch sucht. Der Moment, der „ist“, ist Glückseligkeit, denn er beinhaltet keinerlei Glaube, Meinung, Schlussfolgerung, Interpretation oder Zeit.

 

Author: V. S. Shankar

© Copyright 2011

 

 

Anmerkung des Herausgebers:

Das Leben ist definitiv voller Würze – letzten Endes, „Vielfalt ist die Würze des Lebens.“ Also, warum nicht? Das Leben bietet seinen Kindern, jedem einzelnen von uns, eine grenzenlose Auswahl an Wegen zurück zu sich selbst. Jeder Weg hat seinen eigenen Geschmack und Duft; jeder Weg ist perfekt in jedem Detail, wenngleich illusionär. Allerdings wird jeder Weg auch zu einem Stützpunkt der Macht für seine Anhänger; und jeder Weg ruft das Ego auf den Plan, um seine Einzigartigkeit, seine Überlegenheit und seine Realität gegenüber allen anderen Wegen zu verkünden. So wirkt sich Glaube, Meinung, Schlussfolgerung, Interpretation und Zeit aus. So ist der Weg des Verstandes, Mauern und Grenzen zu erschaffen und aufrecht zu erhalten. Dies zu verstehen, löst Missverstehen auf. Dies zu verstehen, ist das Geschenk der Weisen an den Menschen, und der Moment, der „ist“. Danke – wir sind so dankbar.

Julian, Großbritannien

 

Anmerkung des Übersetzers:

Was ist der richtige Weg nach jenseits des Verstandes? Der richtige Weg sollte für jeden, der ihn geht, funktionieren, denn ein Weg impliziert einen Handelnden. Ein realer Handelnder würde es einfach tun und den Verstand überschreiten, oder nicht? Obwohl dies offensichtlich nicht funktioniert, versucht es der Mensch weiter, indem er immer noch auf der Suche nach dem richtigen Weg ist. Also denk mal scharf nach! Die Weisen haben schon vor Urzeiten verkündet, dass der Verstand illusionär ist. Das kann man nicht einfach ignorieren. Dr. Shankar weist keinerlei Weg, sondern hilft der Menschheit die uralte Weisheit zu verstehen, dass der Verstand tatsächlich eine Illusion ist und nicht real. Wenn sich der Mensch vollkommen darüber im Klaren ist, was der Verstand wirklich ist, wird kein Weg benötigt, er würde spontan jenseits des Verstandes leben.

Marcus, Deutschland

 

 

 

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