Dr. Vijai S Shankar MD.PhD.
Published on www.academy-advaita.com
The Netherlands
11 April 2016

Unteilbar

„Der Verstand teilt das Unteilbare“

Der Verstand trennt Gegenteile voneinander: Zeit, einen Moment vom nächsten und alles, was in Zeit und Raum im Leben existiert – und das wird bereitwillig von Logik und Vernunft nicht nur als richtig, sondern auch aus wahr akzeptiert.

Der Mensch möchte, wünscht sich und sucht auch nach Erleuchtung, während der Verstand weiterhin alles, was im Leben existiert, voneinander trennt. Der Mensch versteht nicht, dass die von ihm ersehnte Erleuchtung, wenn diese Trennung richtig und wahr wäre, ebenfalls geteilt wäre und geteilte Erleuchtung ist überhaupt keine Erleuchtung.

Der Mensch ist nicht im Reinen mit der trennenden Funktion des Verstandes. Er ist daran gefesselt und sehnt sich deswegen nach Erleuchtung und sucht sie auch verzweifelt. Erleuchtung ist allerdings unteilbar – wie kann der Mensch also jemals Erleuchtung erfahren? Diese Frage muss sich der Mensch stellen und verstehen.

Es ist wichtig zu verstehen, wodurch der Mensch gefesselt ist. Er ist an das gefesselt, was er für sich auswählt. Der Mensch wählt das, was er mag, und nicht das, was er nicht mag. Vorlieben und Abneigungen sind allerdings Gegenteile und der Mensch weiß, was er mag, aufgrund seines Gegenteils, was er er nicht mag. Gäbe es keine Abneigungen würde der Mensch nicht wissen, was er mag oder was Vorlieben sind. Das Gegenteil ist ebenso wahr: Gäbe es keine Vorlieben würde der Mensch nicht wissen, was er nicht mag oder was Abneigungen sind.

Die Frage ist also, wie dem Menschen Erleuchtung geschehen kann. Das Leben gibt dem Menschen einen Hinweis. Wenn man darüber nachdenkt, offenbart sich Erleuchtung. Der Hinweis ist das Verständnis, das sich im Menschen entwickelt hat, dass Zeit und Raum zusammen existieren und beide unteilbar sind. Wären Zeit und Raum teilbar und getrennt voneinander, würde weder Zeit noch Raum existieren.

Der Mensch versteht auch, dass alles Zeit und Raum braucht, um zu existieren. Doch er hat noch nicht verstanden, dass auch Gegenteile Zeit und Raum brauchen, um zu existieren. Da Zeit und Raum unteilbar sind, sind auch Gegenteile, die in Zeit und Raum existieren, ebenfalls unteilbar.

Der Mensch versteht außerdem, dass alles aus Energie besteht und es verschiedene Energieformen gibt. Er hat jedoch noch nicht verstanden, dass Energie ebenfalls Zeit und Raum braucht, um zu existieren, ganz egal wie viele Energien es im Leben auch geben mag. Das impliziert, dass Energien ebenfalls unteilbar sind, genau wie Zeit und Raum und Gegenteile unteilbar sind.

Der wichtigste Aspekt dieses Hinweises ist nun, dass alles, was in Energie, Zeit und Raum existiert, aufgrund seines jeweiligen Gegenteils bekannt ist. Daher ist der Mensch zur Hälfte an das Gegenteil gefesselt. Und sobald er versteht, dass Erleuchtung ganz und nicht halb ist, wird er den Gegenteilen dankbar sein, denn sie geben ihm die Möglichkeit, die Hälfte, an die er gefesselt ist, zu verstehen.

Die Erleuchteten verstehen, dass Gegenteile nicht geteilt werden können, dass sie ganz und zusammen sind und die Trennung des Verstandes in Form von Gedanken illusionär und nicht real ist. Die Dankbarkeit gegenüber den Gegenteilen, die es dem Menschen ermöglichen, ein illusionäres tägliches Leben zu führen, sowie das Verständnis, dass das Leben unteilbar ist, offenbart Erleuchtung.

Autor: Dr. Vijai S. Shankar
© Copyright V. S. Shankar 2016

Anmerkung des Herausgebers:
Hier ist der bemerkenswerte Einblick in die Klage und Rettung des Menschen. Die bedeutsamste Trennung für jedes menschliche Wesen, welche alles, was er oder sie lieb gewonnen hat, einschließlich seines Gegenteils, des Ungeliebten oder gar Abgelehnten, umschließt, ist die Trennung zwischen Leben und Tod. Beim Lesen dieses Artikels mit dem Titel „Unteilbar“, offenbart sich auf einen Schlag die Überzeugung, die jeder von uns als unvermeidliche Wahrheit teilt, dass der Tod den Vorhang fallen lässt vor dem Leben und Sterben das unentrinnbare Ergebnis von Leben ist. Das ist der illusionäre Glaube, der dem Herzen Angst einflößt. Das Verständnis, dass Gegenteile nicht voneinander getrennt werden können, ist der Anfang der Rettung des Menschen und der Beginn des Weges in die Ewigkeit. Tiefsten Respekt und Dankbarkeit gilt dem Erleuchteten, durch dessen Mitgefühl dies offenbart wird.
Julian Capper, Großbritannien.

Anmerkung des deutschen Übersetzers:
Einsamkeit, Isolation, Trennung – das ist, was jedem Mann und jeder Frau so sehr missfällt. Es gibt keinen Fehler im trennenden Zustand des Verstandes, in dem die meisten von uns jeden Tag leben. Wahrhaft zu leben bedeutet allerdings zu verstehen, dass das Leben unteilbar ist und die Trennung im täglichen Leben illusionär ist. Dieses Verständnis, von Dr. Shankar im Artikel „Unteilbar“ vorgebracht, ermöglicht es dem Menschen, ein ganzheitliches, verbundenes Leben zu führen, denn das Leben ist in Wahrheit unteilbar.
Marcus Stegmaier, Deutschland.

back to articles page