Marcus Stegmaier

 

31th December 2011

 

 

Handelnder und Nicht-Handelnder - Aliens im Leben

 

„Sollte“ und „Sollte-Nicht“

 

 

Kein Zweifel: Sollte der Mensch eines Tages in den Tiefen des Universums eine außerirdische Lebensform finden, würde er feststellen, dass auch die Sprache der Außerirdischen dominiert wird von dem Wort „sollte“, ganz so wie es in jeder menschlichen Sprache überall auf der Erde der Fall ist. Wie kann man dies wissen?

 

Wäre „sollte“ nicht der dominierende Faktor der außerirdischen Sprache, würde der Mensch den Außerirdischen keine Intelligenz zuschreiben und „außerirdische Intelligenz“ hieße stattdessen „außerirdische Dummheit“. Der Glaube an einen Handelnden und einen Nicht-Handelnden wird für ein Zeichen von Intelligenz gehalten. „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“, wie es der Griechische Philosoph Protagoras, einer der Vorsokratiker, vor über 2000 Jahren ausdrückte. So funktioniert der menschliche Verstand auf dem jetzigen Stand der Evolution.

 

Der Unterschied zwischen Tier und Mensch, so glaubt man, ist die Fähigkeit zu Planen und danach zu handeln, was soviel heißt, wie zu tun, was man „tun sollte“, und nicht zu tun, was man „nicht tun sollte“. Dies führte zur Geburt des Konzeptes eines Handelnden und eines Nicht-Handelnden im menschlichen Verstand. Und dieser Glaube ist die grundlegende Illusion, unter welcher der Mensch ein Leben lang leidet, ohne sie überhaupt loslassen zu wollen, denn das Ego fürchtet sich vor Kontrollverlust. Allerdings versteht das Ego nicht, dass es sowieso niemals die Kontrolle hatte, sondern nur als der Lenker seines Geschicks erschien. Diese Täuschung ist die Intelligenz des Lebens.

 

Um es mit den Worten des irdischen Weisen Dr. Vijai S Shankar zu sagen: „Der Mensch ist nicht einmal intelligent genug, um dumm zu sein.“ Tadelte er den Menschen dafür, dass er die Intelligenz des Lebens missversteht? Nicht im Geringsten! Dies ist nicht die einzige Aussage, die Dr. Shankar mit der Menschheit teilt. Es ist Teil eines umfangreichen Werkes, das viele Bücher, CDs, DVDs und Artikel umfasst und die Illusionshaftigkeit des menschlichen Verstandes detailliert erläutert. Den kleinsten Winkel seines Verstandes muss der Mensch mit Klarheit verstehen und das Wort „sollte“ ist der Schlüssel, um die Illusion eines Handelnden und Nicht-Handelnden zu verstehen.

 

Nicht dass „sollte“ von vornherein nicht hätte manifestiert werden sollen vom Leben! Nichts ist falsch oder unnötig im magischen Spiel des Lebens. Jedes einzelne „Sollte“, das dem Menschen widerfährt, könnte ihm helfen, ins Leben zu erwachen, indem er versteht, dass sein Wachzustand kein bisschen realer ist als der Traum im Schlafzustand. Der Mensch ist dem Leben gegenüber blind und nur wach in Bezug auf seinen Verstand. Der Mensch muss verstehen: Das Leben geschieht als ein Fließen von Licht und Ton, in Form einer optischen Illusion, d. h. der Bewegung des Körpers, und einer auditiven Illusion, d.h. der Bewegung von Ton, die dem Ego als Sprechen und Denken erscheint.

 

Eine genaue Untersuchung, wenn sie geschieht, offenbart, dass das Leben nicht eine Summe von Ereignissen ist, die durch die Logik von Ursache und Wirkung miteinander verbunden sind. Dieses Verständnis versetzt den Menschen in die Lage, sein mentales Leben als einen Traum zu genießen, was es ist, und nicht als eine Realität, was es nicht ist. Dann lebt der Mensch das Leben, wie es ist, und hört auf, zu versuchen, seine Träume wahr werden zu lassen, indem er plant, was er tun sollte - dann versteht der Mensch, dass Planen und Handeln Träume im Verstand sind, während das Leben so geschieht, wie es geschehen soll. Das Leben geschieht nur auf eine Weise: auf die Weise des Lebens und nicht auf die Weise des Verstandes.

 

Der Verstand, wenn er nicht richtig verstanden wird, wenn er nicht als vollkommen illusionär verstanden wird, ist ein Alien im Leben. Der Glaube an einen Handelnden als auch einen Nicht-Handelnden entfremdet den Menschen vom Leben. Der Mensch ist allerdings nicht sein Verstand. Der Verstand ist nicht die wahre Natur des Menschen. Das Leben ist ein wunderbares Spiel aus Licht und Ton. Und Ton erscheint dem Ego als der Verstand. Dies gilt es im Detail zu verstehen, dann ist der Mensch frei von jeglichem „sollte“ und „nicht-sollte“ sowie von der Illusion eines Handelnden und Nicht-Handelnden.

 

Irgendwie hat das Wort „sollte“ den Status eines Abzeichens der Menschheit erlangt. „Sollte“ und „nicht sollte“ sind der Maßstab seines Intellekts, den der Mensch für Intelligenz hält. Dies geschieht, weil der Mensch dazu konditioniert ist, zu glauben, dass er der Handelnde von realen Handlungen ist, die vom Ego geplant werden können und sollten. Einem Plan entsprechend zu handeln, hält man für intelligentes Handeln im Leben. Das Leben ist allerdings ein einzelnes Fließen von Energie, daher sind „sollte“ und „nicht sollte“ nichts weiter als mentale Konzepte.

 

Wäre der Mensch wirklich der Handelnde, Sprechende und Denkende, wie er glaubt, würde er planen, was er tun sollte, und es dann einfach tun, wie und wann er es tun möchte. Doch das ist nicht der Fall, das geschieht nicht, wie die Geschichte der Menschheit immer und immer wieder jedem einzelnen im täglichen Leben offenbart. Würde der Mensch verstehen, dass er nicht der Handelnde, Sprechende und Denkende ist, würde das Wort „sollte“ aus seinem Vokabular verschwinden. Dies wäre ein wahres Zeichen von irdischer Intelligenz sowie von außerirdischer Intelligenz!

 

Es ist die Intelligenz des Lebens, die den Menschen glauben lässt, dass er „sollte“ oder „nicht sollte“, während Handlungen im Leben nicht existieren, so wie es im Leben auch kein Individuum, keine Zeit und daher auch keine Handelnden gibt. All dies ist einfach illusionär, es existiert lediglich in Gedankenform. Gedanken sind allerdings nur Ton, da das Leben ein Spiel aus Licht und Ton ist. Für ein tieferes Verständnis dieser Aussagen möge der Leser die Werke des bereits erwähnten Dr. Vijai S Shankar zur Hand nehmen. In diesem Artikel wird das Wort „sollte“ sowie die Illusion eines Handelnden und Nicht-Handelnden sorgfältig untersucht.

 

„Sollte“ bedeutet, dass etwas, was nicht geschieht, geschehen sollte. Es sollte allerdings einfach sein zu verstehen, dass nur das ist, was ist, und was nicht ist, nicht ist. Das Wort „sollte“ erscheint logisch für einen höher entwickelten Verstand und Logik ist die Krankheit im Verstand. „Ich sollte es tun! Ich hätte es tun sollen! Du solltet es nicht tun! Du hättest es nicht tun sollen!“ Dies quält den Menschen durch Bedauern, ein schlechtes Gewissen und die Furcht vor Vergesslichkeit, mehr oder weniger jeden Tag, fast stündlich, manchmal jede Minute. So entsteht das Konzept eines Handelnden und Nicht-Handelnden.

 

Manchmal hält man den Menschen für einen Handelnden: Wenn das, was er tut, so geschieht, dass es dem entspricht, was man von ihm erwartet. Und manchmal hält man ihn für einen Nicht-Handelnden: Wenn die erwarteten Handlungen ihm nicht geschehen. Basierend auf diesen Bezeichnungen „Handelnder“ und „Nicht-Handelnder“ baut sich der Charakter eines Menschen im Verstand auf: „Er ist faul.“, „Sie ist kreativ.“, „Der Chef ist diszipliniert.“

 

 

Ein Charakter basiert auf den Überzeugungen desjenigen, der ihn sozusagen für eine andere Person erfindet, und hängt nicht vollkommen von der Person selbst ab. Es ist abhängig von den Umständen, ob ein scheinbarer modus operandi eines Individuums für gut oder für schlecht befunden wird. Dies zeigt, wie relativ ein Charakter ist. Ein Charakter ist keine angeborene Eigenschaft des Menschen, sondern wird von den Verständen der Anderen zugeteilt und später dann vom eigenen Verstand übernommen.

 

Jemand, dem genau das passiert, was vorher geplant wurde, nennt man konsequent und diszipliniert. Jemand, dem nicht passiert, was vorher geplant wurde, nennt man undiszipliniert oder planlos. Jemand, dem nicht einmal das Planen geschieht, nennt sich selbst spontan, während ihn andere als nicht methodisch, systemlos oder sogar chaotisch bezeichnen. Zum Beispiel kann ein so genannter chaotischer Mensch in einer Werbeagentur sehr erfolgreich sein, dann wird seine Planlosigkeit Kreativität genannt.

 

Die Erklärungen des Verstandes, wieso der Mensch nicht immer danach handelt, was er geplant hat, sind hoch entwickelt. Dermaßen, dass die Illusion der Täterschaft beinahe perfekt verschleiert wird. Die meisten der so genannten Taten des Menschen geschehen, ohne dass der Verstand daran denkt, was beweist, dass der Versand nicht am Handeln beteiligt ist.

 

Beobachte, wie viele Bewegungen dem Körper jeden Tag geschehen, ohne dass der Verstand anwesend ist, da er an etwas anderes, in der Vergangenheit oder in der Zukunft, denkt! Der Verstand ist niemals im Jetzt, wo sich der Körper bewegt. Also steuert der Verstand die Bewegungen des Körpers nicht. Der Verstand ist kein Instrument, um Handlungen zu planen, sondern nur ein Instrument, um zu wissen, was bereits vom Leben getan wurde, so illusionär es auch ist.

 

Doch hat diese Beobachtung dem Menschen bisher geholfen, seinen Verstand zu verstehen? Nicht im Geringsten, denn das Leben ist intelligent genug, um seine Illusionen als real aufrecht zu erhalten. Daher hat es die Psychologie solche Begriffe erfinden lassen wie „das Unbewusste oder „unterbewusst“. Man nimmt also an, dass es Handlungen gibt, die „bewusst“ getan werden, und andere werden als „unterbewusst“ bezeichnet, was heißen soll, dass die scheinbaren Handlungen ohne Planen oder Denken vonstatten gehen.

 

Im täglichen Leben gibt es andauernd einen Handelnden oder einen Nicht-Handelnden: in der Armee, in der Wirtschaft, in der Schule, in Beziehungen, im Eheleben und in Familien, im Kloster und selbst in einem Single-Haushalt. Ein „Nicht-Handelnder“ führt zu verschiedenen Manipulationsstrategien, um den Anderen dazu zu bringen, dass er tut, was getan werden sollte. Machtausübung durch Belohnung, Zwang oder durch Vorbildcharakter wird verwendet, um den Anderen oder gar sich selbst dazu zu bringen, der Ausführende einer bestimmen Handlung zu werden und kein Nicht-Handelnder zu sein.

 

Lasst uns einen Blick in eine Familie werfen: Wenn der Vater von der Arbeit nach Hause kommt und eines der Kinder seine Hausaufgaben für die Schule noch nicht gemacht hat, wird die Mutter beschuldigt, weil sie das Kind nicht dazu gebracht hat, die Hausaufgaben zu machen. Ein nicht handelndes Kind erzeugt auf magische Weise einen zweiten Nicht-Handelnden: die Mutter. Dies nennt man Verantwortung. Die Eltern werden dafür verantwortlich gemacht, wenn ihre Kinder scheinbar Handelnde oder Nicht-Handelnde sind.

 

Doch um jemanden als schuldig abzustempeln, braucht es nicht viele Leute - selbst eine einzige Person ist genug! Wenn ein junger oder ewiger Junggeselle nach Hause kommt und die Wohnung noch nicht, wie geplant und erwartet, aufgeräumt ist, dann ist der einzige verfügbare Nicht-Handelnde er selbst und dies führt zu Selbstverurteilung: „Ich hätte es bereits tun sollen. Ich bin so dumm. Nun kommt das Wochende und meine Mutter besucht mich morgen abend.“

 

Der Mensch erwartet von anderen und von sich selbst, etwas zu einer bestimmten Zeit zu erledigen, weil er glaubt, dass es auf diese Weise bereits in der Vergangenheit geschehen ist. Handeln geschieht und manchmal wird es von Denken begleitet, was dem Ego als Planen erscheint. In vielen Fällen geschieht das Handeln auch ohne Denken oder Planen und dies nennt man automatisches Handeln. Automatische Handlungen, so glaubt man, sind das Ergebnis von Training in der Vergangenheit.

 

Doch wie geschah das Training dem Menschen zum ersten Mal? Das Training wäre ebenfalls eine Handlung. Der Mensch glaubt, dass Training aufgrund von Ratschlägen oder mithilfe eines anderen geschieht, der schon in der Lage ist, eine bestimmte Handlung auszuführen. In diesem Sinn glaubt der Mensch, dass es einen Lehrer und einen Schüler gibt, der Lehrer lehrt und der Schüler lernt. Eine genaue Untersuchung würde zeigen: Wer könnte jemals der erste Lehrer gewesen sein?

 

Nun ist das Ego sehr schlau und würde daher erwiedern, dass der Mensch manchmal etwas Neues aufgrund von spontaner Kreativität erlernt, und dies, so glaubt man, sei ein Teil seines Charakters. Einige Anteile seines Charakters, sagen die Psychologen, sind das Ergebnis der Auseinandersetzung mit dem Umfeld, andere sind angeblich angeboren. Wäre dies wahr, dann wäre der freie Wille eine Illusion, was der Fall ist, doch um diese Schlussfolgerung zu vermeiden, wird in Ergänzung zum Konzept des Milieueinflusses und der angeborenen Genetik dem Menschen noch das Konzept des freien Willens dazu geliefert. Wieder macht es die Intelligenz des Lebens, um seine Illusionen als real aufrecht zu erhalten, schwer, die Illusion eines Handelnden und Nicht-Handelnden zu verstehen, um von „sollte“ und „sollte nicht“ frei zu werden.

 

Der Schatten des Konzeptes eines Handelnden sind Gefühle wie Bedauern, schlechtes Gewissen, Schuld und Angst vor Vergesslichkeit. Doch was könnte das bedeuten? Wer lässt den Menschen sich erinnern? Wer lässt ihn vergessen? Wenn der Mensch der Handelnde wäre, wie er glaubt, würde er niemals etwas vergessen. Doch er scheint zu vergessen, was er tun sollte. Das beweist, dass der Mensch nicht der Handelnde ist, und der Mensch erkennt dies nicht, weil er völlig versunken ist in Tun, Tun, Tun sowie in Planen, Planen, Planen.

 

„Planen, handeln, prüfen, verändern!“ ist sein Mantra, um kontinuierliche Weiterentwicklung zu bewirken. Höherentwicklung geschieht allerdings aufgrund der Intelligenz des Lebens und dieser evolutionäre Prozess des Lebens schließt planende Gedanken ebenso ein wie illusionäre Handlungen. Diese ganze Illusion ist sehr täuschend, eine magische Show, die zu genießen das Ego nicht fähig ist, weil es sich selbst für den Handelnden, Sprechenden und Denkenden von realen Handlungen, realen Worten und realen Gedanken hält. Wie intelligent das Leben ist und wie begrenzt der Intellekt! Und selbst diese Begrenztheit ist eine Ausdruck der Intelligenz des Lebens!

 

Der Glaube an einen Handelnden und einen Nicht-Handelnden basiert auf Ursache und Wirkung. Ursache und Wirkung, so glaubt man, sind die Grundlage jeder Handlung. Der Gedanke des Planens scheint die Ursache zu sein und die Körperbewegung, die so genannte Handlung, hält man für die Wirkung. Auf dieser Annahme basieren Regeln.

 

Doch Ursache und Wirkung sind in Wirklichkeit eins, weil das Leben eine einzelne Bewegung ist, ohne irgendwelche Trennlinien. Nur Worte, die im Verstand als Bezeichungen fungieren, lassen eine illusionäre Trennung von getrennten Ereignissen real erscheinen und führen damit zu dem Konzept von Ursache und Wirkung. Worte sind allerdings nichts weiter als Ton im Leben und daher ist selbst die scheinbare Dualität des Verstandes ebensfalls Einheit. Das Leben, wie die Weisen verkündeten, ist Advaita, Eines, das als Zwei erscheint.

 

Es gibt Regeln für die Kindererziehung, Regeln im Arbeitsleben, Regeln in der Schule, gesellschaftliche Übereinkünfte, Gesetze in Staaten usw. Um andere nach den Regeln abzurichten, werden sowohl Kinder als auch Erwachsene durch Strafen bestraft als auch durch Belohnungen bestraft. Dies gilt es zu verstehen: Belohnungen sind nichts anderes als die Androhung einer Strafe. Eine Belohnung sagt, dass du, wenn du nicht tust, was du tun solltest, dadurch bestraft wirst, dass du die Belohnung nicht bekommst.

 

Daher werden Kinder ebenso wie Erwachsene wütend, wenn sie die Belohnung nicht bekommen und andere bekommen sie. Sie fühlen sich auch nicht belohnt, wenn sie die Belohnung bekommen, sondern nur weniger bestraft. Neid, Gier und Konkurrenzkampf sind das Ergebnis. Im Geschäftsleben wird für Produktivität ein finanzieller Bonus in Aussicht gestellt und dann wundert sich der Chef, wenn seine Angestellten nicht zusammen als Team arbeiten, sondern gegeneinander. Die Qualität der Arbeitsatmosphäre sinkt proportional zu den Bonuszahlungen.

 

Die verbalen Entsprechungen von Belohnung und Strafe sind Lob und Tadel. Worte haben für den Menschen denselben Status wie Dinge erlangt, verständlicherweise, denn Taten und Dinge sind in Wirklichkeit auch nichts anderes als Worte. Wie der Mensch dadurch bestraft wird, dass man ihm eine Belohnung vorenthält, tadelt man ihn dadurch, dass er nicht gelobt wird. Daher sind auf dieselbe Weise wie Belohung und Strafe auch Lob und Tadel Eins und nicht Zwei. Also sind selbst die mentalen Konzepte des Verstandes Eins und nicht getrennt, wie der Mensch glaubt.

 

Im täglichen Leben gibt es zahlreiche Situationen, in denen das Ego auf den Glauben an Ursache und Wirkung reagiert. Diese Logik ist die Krankheit im Verstand. Die Eltern erwarten nur deshalb ein bestimmtes Verhalten von ihren Kindern, weil sie auf die dem konditionierten Verstand eigene Logik von Ursache und Wirkung reagieren anstatt auf das Leben, wie es ist, zu antworten. Die Logik des Verstandes hält den Menschen davon ab, lebendige Wesen zu sehen und auf sie zu antworten.

 

Obwohl der Mensch glaubt, dass er sieht, denkt er lediglich Handelnde und Nicht-Handelnde selbst in seinen Kindern, ganz zu schweigen von Nachbarn und Fremden, und denkt darüber nach, was sie tun sollten und nicht tun sollten. Wenn Eltern anfangen, diese Absurdität zu verstehen, macht es ihnen die Gesellschaft schwer, dem Leben anstatt dem Verstand zu vertrauen. Wenn Eltern ihren Kindern keine Regeln geben und sie nicht belohnen, bestrafen, loben oder tadeln, werden sie für verrückt und verantwortungslos gehalten. Dies sind die Zeichen eines konditionierten Verstandes: dass andere dafür getadelt werden sollten, ein Handelnder oder ein Nicht-Handelnder zu sein.

 

Zeitmanagement, Selbst-Management, Terminkalender, Tagesplan, Wochenplan, Monatsplan, Jahresplanung, 3-Jahresplanung, 5-Jahresplanung, Karriereplanung, Selbstmotivation, Zweck, Ziel, Richtung... in so vielen Ausdrücken der Geschäftssprache ist implizit ein „sollte“ enthalten und auch ein Handelnder und ein Nicht-Handelnder verbirgt sich dahinter. Wieso ist der Mensch ängstlich, verwirrt und gestresst darüber, was er tun sollte und nicht tun sollte? Wieso ist der Mensch wütend, deprimiert und frustriert, wenn das, was passieren sollte, nicht passiert? Der Mensch muss dieses Phänomen ganz genau untersuchen!

 

Der Verstand erscheint logisch, ist jedoch voller Widersprüche! Wenn der Mensch der Handelnde wäre, müsste er die ganze Zeit entspannt sein, weil er dann immer genau das täte, was getan werden sollte, und niemals das, was man nicht tun sollte. Und wenn das, was getan werden sollte, nicht geschieht, hätte er es aus einem guten Grund so entschieden, wieso sollte er sich dann überhaupt irgendwelche Sorgen machen?

 

Der Mensch erlaubt sich selbst, ganz zu schweigen von anderen, allerdings nicht, glücklich zu sein, bis zu dem imaginären Zeipunkt, wenn das, was getan werden sollte, erledigt ist. Diese Hoffnung hat kein Ende, denn Pläne enden nie, nicht einmal in der Urlaubszeit. Der Mensch muss verstehen, dass er, während er das Ende, das Ziel oder die Richtung im Blick hat, niemals das gegenwärtige „Hier und Jetzt“ genießen kann, das präzise so fließt, wie es sollte, und niemals vom Menschen geändert werden kann.

 

Das Elend, in dem sich der Mensch befindet, ist nur ein Zeichen eines starken Mangels an Vertrauen ins Lebens. Zu verstehen, dass das geschieht, was bestimmt ist zu geschehen, und sonst nichts, ist Vertrauen ins Leben und nicht in den Verstand. Ein Mensch mit Vertrauen wird einfach beobachten, was geschieht, anstatt zu warten, sich zu sehnen, zu erwarten, dass etwas geschieht, einfach nur, weil ein bestimmter Gedanke in seinem Verstand aufgetaucht ist, der sagt, dass dies oder das geschehen sollte oder dies oder das nicht geschehen sollte.

 

Was in der Militärsprache Befehl und Ungehorsam heißt, nennt man in der Geschäftssprache Vertrag und Vertragsbruch. Und im privaten Leben bezeichnet es der Mensch als Versprechen und dessen Bruch. Auf diese Weise wird das tägliche Leben zu einer Frage von Dominanz und Geschäft. Der Mensch glaubt allerdings, dass man im Familienleben, zwischen Verwandten, in so genannten Liebesbeziehungen und im Umgang mit Kindern keine Forderungen stellen sollte. Daher äußert er eine Bitte. Doch was geschieht, wenn der Andere der Bitte nicht nachkommt? Dann wird der Mensch wütend. Dies offenbart, dass die Bitte keine Bitte war, sondern eine versteckte Forderung. Daher sind die so genannten Liebesbeziehungen des Menschen ebenfalls nichts als Dominanz und Geschäftsgebaren!

 

Eine wahre Bitte wäre es, wenn man jede mögliche Antwort gerne annimmt. Dies ist nicht leicht zu verstehen. Doch was noch viel schwieriger zu verstehen ist, ist das folgende Szenario: Wenn der Andere einräumt, etwas tun zu wollen, das Tun dann aber nicht geschieht. Dann wird selbst derjenige, der ein „Nein“ auf seine Bitte akzeptiert hätte, unwillig, verwirrt oder gar wütend: „Du hättest es mir vorher sagen sollen, dass du es nicht tun willst! Dann hätte ich es selbst gemacht.“ Das Leben lässt den Menschen „Ja“ oder „Nein“ sagen und danach handeln oder nicht handeln. Nur weil eine bestimmte Tat einem „Ja“ in vielen Fällen folgt, heißt das nicht, dass das „Ja“ die Ursache für die Tat ist. Dieser Glaube ist der Effekt der tiefen Konditionierung eines Handelnden und eines Nicht-Handelnden und hat einen starken Einfluss auf den Menschen im täglichen Leben, sodass sich Beziehungen in Dominanz und Geschäftsabschlüsse verwandeln.

 

Würde die Gesellschaft zusammenbrechen, wenn jeder verstünde, dass Regeln nur das Ergebnis von Mangel an Vertrauen ins Leben sind? Wie könnte etwas zusammenbrechen, das nicht als Realität existiert? Die Gesellschaft und all ihre Regeln sind eine Erscheinung im Prozess der Evolution und mit der Höherentwicklung des Lebens wird sich selbst die Gesellschaft von einer Form in eine andere transformieren. Wie diese Form aussehen wird, kann niemand sagen, doch das Leben ist sicher in den Händen des Lebens; ohne zu planen tut es, was getan werden muss, wenngleich illusionär.

 

Würde die Wirtschaft zusammenbrechen, wenn jeder verstünde, dass Motivationsstrategien illusionär sind, weil das Leben die Wirtschaft geschehen lässt und nicht der Verstand? Wie könnte etwas zusammenbrechen, das nicht als Realität existiert? Die Wirtschaft und all ihre Motivationsstrategien sind eine Erscheinung im Prozess der Evolution und mit der Höherentwicklung des Lebens wird sich selbst die Wirtschaft von einer Form in eine andere transformieren. Wie diese Form aussehen wird, kann niemand sagen, doch das Leben ist sicher in den Händen des Lebens; ohne zu planen tut es, was getan werden muss, wenngleich illusionär.

 

Würde Erziehung zusammenbrechen, wenn jeder verstünde, dass Lob und Tadel, Belohung und Strafe illusionär sind, weil das Leben Erziehung geschehen lässt und nicht der Verstand? Wie könnte etwas zusammenbrechen, das nicht als Realität existiert? Die Erziehung und all ihre Manipulationsstrategien sind eine Erscheinung im Prozess der Evolution und mit der Höherentwicklung des Lebens wird sich selbst Erziehung von einer Form in eine andere transformieren. Wie diese Form aussehen wird, kann niemand sagen, doch das Leben ist sicher in den Händen des Lebens; ohne zu planen tut es, was getan werden muss, wenngleich illusionär.

 

Könnte Gott das Potenzial haben ein Handelnder oder ein Nicht-Handelnder zu werden? Man muss verstehen, was Gott ist. Gott ist die Intelligenz, die das Leben fließen lässt. Wenn Gebete von demjenigen, den man für den Allmächtigen hält, nicht erfüllt werden, wird Gott als ein Nicht-Handelnder beschuldigt. Andere ziehen es in dieser Situation vor, sich selbst zu beschuldigen, weil sie glauben, dass sie es versäumt hätten, ihre Rituale auf die Weise durchzuführen, wie sie es hätten tun sollen. Deshalb ist selbst in der Religion ein Handelnder und ein Nicht-Handelnder omnipräsent. Wo könnte dann Gott sein, sollte man sich fragen!

 

In vielen spirituellen Kreisen hält man Gott für den Handelnden und nicht den Menschen. Daher muss der Mensch, da er ja ein Handelnder ist, ein Nicht-Handelnder werden, damit Gott sein Sein durchdringen kann. Das ist eine verbreitete Satsang-Krankheit. Weder Gott noch der Mensch ist ein Handelnder oder Nicht-Handelnder, weil Handlungen und Nicht-Handlungen nichts weiter als Gedanken im Verstand sind, welche die einzelne Bewegung, die das Leben ist, begleiten. Das Leben ist ein Spiel aus Licht und Ton und nicht voller Handlungen.

 

Es gibt viele Dinge, die der spirituell Suchende tut, um ein Nicht-Handelnder zu werden, beispielsweise Meditation und das Praktizieren von Stille. Könnte der Spirituelle etwa etwas tun, um ein Nicht-Handelnder zu werden? Der Mensch muss erst noch verstehen, dass er, wenn er wirklich ein Nicht-Handelnder wäre, nicht in der Lage wäre, irgendetwas Spirituelles zu tun. Meditation ist, wie jede andere Handlung auch, ein Gedanke im Verstand und keine Realität im Leben. Stille kann man nicht praktizieren, weil sie überall ist. Doch dieses Verständnis muss den so genannten spirituellen Männern und Frauen erst noch geschehen. Was für eine Ironie das Leben manifestiert, um dem Menschen eine Chance zu geben, richtig zu verstehen!

 

Würden Religion und Spiritualität zusammenbrechen, wenn der Mensch verstünde, dass Rituale und Meditation illusionär sind und es das Leben ist, das sie geschehen lässt, und nicht der Verstand? Wie könnte etwas zusammenbrechen, das nicht als Realität existiert? Religion und Spiritualität würden sich in ein tieferes Verständnis des Lebens transformieren, in wahre Religiosität und wahre Spiritualität, was man Erleuchtung nennt.

 

Selbst Erleuchtung ist eine Erscheinung im Prozess der Evolution und mit der Höherentwicklung des Lebens wird sich selbst Erleuchtung von einer Form in eine andere transformieren. Wie diese Form aussehen wird, kann nicht einmal der Erleuchtete sagen. Doch wenn er es könnte, würde der Mensch ihm nicht folgen können, solange ihm nicht eine tiefgreifende Untersuchung seines eigenen Verstandes geschehen ist, damit er eigenständig versteht, dass das Leben sicher ist in den Händen des Lebens; ohne zu planen tut das Leben, was getan werden muss, wenngleich illusionär.

 

Das Verständis, dass das Leben eine einzelne Transformation von Energie ist und nicht aus zahlreichen Ereignissen besteht, das Verständis, dass das Leben ein Fließen ist und nicht voller Handlungen, das Verständnis, dass der Mensch ein lebendiges Wesen und nicht ein Handelnder oder Nicht-Handelnder ist, führt Schritt für Schritt dazu, dass man ein reiner Beobachter wird, das heißt ein höher entwickeltes Ego. Der reine Beobachter ist die Geduld selbst, weil er versteht, dass das Leben nach seinen eigenen Gesetzen abläuft und nicht kontrolliert, verändert oder geplant werden kann vom Ego.

 

Dann verlieren Streitigkeiten darüber, was geschehen sollte und was noch nicht geschehen ist, ihre Bedeutung. Deadlines werden als illusionär verstanden, so wie auch Lob und Tadel, Schmeichelei und Kritik, Belohnung und Strafe. Dann transformieren sich die auf dem Konzept eines Handelnden und Nicht-Handelnden basierenden Gefühle wie Wut, Depression, Frustration, Stress, Traurigkeit, Beklemmung und Verwirrung auf natürliche Weise in Liebe.

 

Dann versteht der Mensch, dass Handelnde und Nicht-Handelnde, „sollte“ und „nicht sollte“ einfach nur mentale Konzepte sind, die den Menschen vom Leben entfremden. Dieses Verständnis entsteht spontan von innen als ein Ausdruck wahrer Intelligenz, die man nicht draußen findet, weder auf der Erde noch im Weltall.

 

 

Copyright: Marcus Stegmaier, M.A., 2011

 

 

 

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